Gabun - Roman
Saffkin.
Kannte er Lea? Kannte sie ihn? Dass er auf einer Geschäftsreise mal in Charlottenburg abgestiegen war, konnte ja durchaus sein. Statistisch gesehen jedenfalls.
»Es gibt eine Romanfigur in der russischen Literatur«, fuhr Saffkin fort, »mit der ich mich verwandt fühle. Kennen Sie Gontscharows Geschichte von Oblomow? Er verspottet die Karrieristen im zaristischen Petersburg. Sein Oblomow verbringt das ganze Leben im Bett, weil es sich nicht lohnt, für irgendetwas aufzustehen. Er ist so etwas wie ein – wie sagt man auf Englisch zu Antipode? Ja, also der Antipode zu Dostojewskis ›Spieler‹. Oblomow spielt nicht mit. Er ist gelangweilt von dem, was seine Freunde tun. Oblomow ist die russische Version des Snobs.«
»Nun, Sie liegen ja nicht im Bett«, sagte Felicité in eine Wolke ausgeblasenen Zigarettenrauchs hinein. »So faul scheinen Sie nicht zu sein. Sie sind hierhergekommen. Und Sie werden Ihre Gründe dafür haben.«
»Es gibt zwei Gründe dafür«, sagte Saffkin. »Einmal, weil ich hoffe, dass es sich lohnt, deshalb bin ich hier, das gebe ich zu. Zweitens würde ich es nicht wagen, wie Oblomow zu leben, obwohl ich gerne faul bin. Meine Familie – nun«, er lachte leise, »sie würde es mir nicht erlauben. Bei uns hält man auf Familie. Aber ich zweifle oft daran, ob etwas richtig ist. Ich zögere lange, bevor ich handle. Russische Tugenden, verstehen Sie.«
»Nein. Ich glaube nicht«, erwiderte Felicité. Sie warf ihre Zigarette auf den Boden und setzte einen ihrer Schuhe mit dem Stiletto-Absatz darauf. »Für mich«, schloss sie, die einzelnen Worte kamen prononciert nacheinander wie das Blatt eines Grand Hand, »ist es nicht wichtig, ob sich etwas lohnt.«
»Touché!«, lachte De Vries. »Ich muss Alexander in Schutz nehmen. Ich glaube, er spricht in diesem Fall nicht vom Lohn, sondern vom Reiz. Und dieser Unterschied müsste gerade Ihnen geläufig sein, Mademoiselle.«
»Ich habe Sie vorhin so verstanden, dass der größte Reiz für Sie der Profit ist«, sagte Felicité, ohne De Vries anzusehen.
»Das stimmt nicht«, protestierte De Vries. »Sie halten meine Ansichten für unmoralisch, da mögen Sie recht haben. Aber bedenken Sie, dass sich das Spielfeld, von dem wir reden, selbst reguliert. Es gibt keine finsteren Bösewichte, die an den Strippen ziehen, es existiert keine Weltverschwörung. Es gibt keine Casinoaufsicht, keine internationale Steuerbehörde. Würden Sie ein Schachspiel für unmoralisch halten, Mademoiselle? Es gibt inzwischen vielleicht ein paar hundert große Spieler auf der Welt, die kleinen Profiteure, die Banken, sogar die Staaten selbst, schaufeln ihnen das Geld zu, sie wollen ja alle mitspielen. Die großen Spieler wissen das, sie halten die Bank. Sie glauben doch nicht, dass für Milliardäre der Besitz von Geld noch eine Rolle spielt. Viele von ihnen stiften große Summen für wohltätige Zwecke. Man ist großzügig, wenn man einmal dort angekommen ist. Dort ist keine Gier mehr, Mademoiselle, keine Gier nach Geld. Das sind andere Motive.«
»Ja, es gibt viele üble Spiele«, sagte Felicité. »Auch der Krieg ist so ein Spiel, oder nicht, Monsieur? Und Ihre großen, reizvollen Spiele zerstören die Existenz und die Lebensgrundlagen der Menschen. Es ist nicht meine Art, beim Champagner über so etwas zu plaudern. Ich finde an Ihren Spielen nichts, was Anerkennung verdienen würde. Guten Abend, meine Herren.«
Felicité erhob sich, ihr Gesicht eine Maske. Ich vermied ihren Blick, fühlte mich jämmerlich vor so viel Redlichkeit. Der Diamant in meiner Hosentasche erschien mir als ein Kainsmal. Alles, was ich zustande brachte, war eine betroffene Miene. Betroffenheit ist nie ganz verkehrt und von Ratlosigkeit kaum zu unterscheiden. Ich hatte das einige Male bei Lea probiert. Felicité sah niemanden an, als sie ging, nur ein Hauch ihres Parfums blieb auf der Terrasse zurück.
Ein paar Herzschläge später, wir schauten noch dorthin, wohin sie verschwunden war, wandte De Vries sich mir zu. Anscheinend war er nicht allzu beeindruckt von Felicités Auftritt.
»Beantworten Sie mir eine Frage, Herr Jesper. Man sagt, dass die Insekten uns alle überleben werden. Was haben sie, was wir nicht haben?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz«, sagte ich. Es hatte sich gezeigt, dass es nicht ungefährlich war, mit De Vries Konversation zu machen. Und nun war ich auch noch allein.
»Soviel ich weiß«, fuhr er fort, »sind sie unempfindlich gegen alles, was uns vergiftet,
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