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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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auf den unbesetzten Sessel in der Reihe. Er hob sein Glas und stieß mit uns an. Danach beugte er sich vor, sah an Felicité vorbei zu Saffkin hinüber.
    »Was für ein Abend«, sagte er. »Mein lieber Sascha, wollen Sie unseren Freunden nicht erzählen, wie der Kaviar seinerzeit die Wirtschaft in Kasachstan in Schwung gebracht hat?«, sagte er. »Ich kenne die Geschichte schon, aber ich höre sie zu gern.«
    Saffkins schwere Lider hoben sich ein Stück. Vermutlich hatte De Vries mit seinem Vorschlag weniger die kasachische Wirtschaft im Auge als seinen Gast, den er in Schwung bringen wollte. Jetlag, dachte ich, oder vielleicht das Russische schlechthin, das ich aus Berlin bereits kannte und das, wie Lea betonte, ihrer Meinung nach hauptsächlich aus Faulheit bestünde. Sie pflegte die russischen Angestellten im Hotel deshalb besonders streng zu überwachen. Ob es darüber auch Studien gab? Über den Zusammenhang zwischen Faulheit und Herkunft? Vielleicht solche wie die lustige, aber ernsthaft durchgeführte Untersuchung, die belegte, dass Leute mit großen Füßen mehr Geld verdienen als die mit kleinen, allerdings war das Geschlecht bei dieser Studie nicht berücksichtigt worden. Eine Lachnummer. Saffkin jedenfalls, fand ich, stand diese gewisse russische Faulheit gut, sie gab ihm etwas Lässiges, Frivoles. Er drehte sein Glas in der Hand und betrachtete die Farbe des Champagners, und mir fiel gleich wieder der flinke Teufel ein, der in meiner Kinderzeit so hurtig an den Bläschen hochgestiegen war.
    »Nun, vor ein paar Jahren«, begann er in seinem langsamen Englisch, »gab es fast keinen Kaviar mehr auf der Welt. Ich persönlich mag das Zeug überhaupt nicht. Aber die Russen baden am liebsten darin, und die Saudis wollen ihn schon zum Frühstück.«
    Saffkin stellte sein Glas auf die breite Sessellehne, ohne dass er daraus getrunken hatte. Er ließ sich zurück in die Polster sinken.
    »Heute erntet man am Kaspischen Meer wieder fünfzig- bis sechzigtausend Tonnen pro Jahr«, fuhr er fort. »Zwei Drittel gehen nach Moskau, das restliche Drittel zu gleichen Teilen nach Amerika und in die Emirate. Nach Europa inzwischen um einiges mehr, seitdem die Russen dort sind. Das Geschäft läuft sehr gut. Vor zwanzig Jahren, als alles anders wurde bei uns, gab es plötzlich Banden, die mit dem Boot vom Meer her kamen und sich den Weg zu den Stören freigeschossen haben. Es ging um Devisen, ein richtiger Krieg. Als Gorbatschow Anfang der neunziger Jahre die Preise freigegeben hatte, war im großen Sowjetreich sofort alles zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Stellen Sie sich vor: Die Preise für Brot und Mieten wurden von der Regierung liberalisiert, aber nicht diejenigen für Öl, Gas und Metall, das bedeutete, dass Brot schlagartig teurer wurde, Öl aber nicht. Wenn Sie Russe waren oder einen Russen gut kannten, konnten Sie russisches Öl, Gas oder Metall zu einem Vierzigstel der Weltmarktpreise einkaufen und es wieder verkaufen, wohin auch immer. Mit Devisen, die kamen bei uns natürlich auch aus dem Kaviargeschäft, konnte man sibirisches Öl für einen Dollar das Barrel kaufen und in den baltischen Staaten für dreißig Dollar wieder verkaufen. Es hat vier, fünf Jahre gedauert, dann waren ein paar tausend Russen Multimillionäre.«
    De Vries füllte unsere Gläser nach. Saffkin deckte sein Glas mit der flachen Hand ab.
    »Ich langweile Sie nicht?«, fragte er mit einem Blick auf Felicité.
    Ich langweilte mich nicht. Felicité schwieg, sie nippte an ihrem Champagner.
    »Ich weiß nicht, ob ich Kaviar mag«, sagte ich, als Saffkin sich nach vorn beugte und mich ansah. »Ich habe noch nie welchen gegessen.«
    »Man mag ihn, oder man mag ihn nicht«, sagte Saffkin. »Ich komme aus Atyrau. Sie wissen vielleicht nicht, wo das ist. Es liegt am Kaspischen Meer. Dort gibt es nicht nur Kaviar. Rund um das Kaspische Meer liegen Ölfelder, in Aserbaidschan, Tschetschenien, bei Astrachan, die meisten aber in Kasachstan. Wir haben eine Zukunft. Die Ölfelder von Tengiz können mit denen in Saudi-Arabien ohne Weiteres mithalten. Und wir würden die Sache gerne in der Hand behalten. Dazu brauchen wir Förderanlagen, Raffinerien, Pipelines, Vertriebswege. Mit anderen Worten, wir brauchen eine Menge Geld.«
    »Sie haben die Bohrinseln vergessen«, sagte Felicité kühl. Sie hatte sich gerade eine Zigarette aus dem Päckchen genommen, das ihr De Vries anbot. Saffkin beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr Feuer. Ich sah, dass die

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