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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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hier?«
    »Ich werde sterben«, sagte sie. »In drei oder vielleicht auch in vier Monaten. Ich bin vor zwei Wochen aus einer Klinik getürmt, in München. Anschließend sollte ich in ein Hospiz gehen, vielleicht wollte ich es ja auch selbst, das weiß ich nicht mehr so genau. Ich hatte nämlich ursprünglich vor, ganz human zu sterben, ohne Aufhebens davon zu machen. Und plötzlich wollte ich Afrika noch einmal sehen.«
    Das Lächeln verjüngte sie. Zum ersten Mal nahm ich wahr, dass sie grüne Augen hatte mit kleinen braunen Sprenkeln darin.
    Sie machte eine Kopfbewegung hin zu meinem Teller. »Essen Sie, Herr Jesper. Das Huhn hat es verdient, dass Sie ihm die Ehre antun. Man soll seinen Teller aufessen. Mein Sohn war der Einzige aus der Familie, der mich ernst genommen hat. Er hat die Buchung über das Internet gemacht.«
    Ich schwieg und aß weiter.
    Uns gegenüber lachte De Vries gerade amüsiert. Und Felicité schenkte Saffkin ein Lächeln, beide Männer sahen sie bewundernd an. Ihre zimtfarbenen Schultern glänzten wie Seide. Das Leben, dachte ich, ist ein Fest. Das Huhn schmeckte mir wieder.
    »Sind Sie schon immer Vegetarierin gewesen?«, fragte ich.
    »Nein, überhaupt nicht«, sagte Frau Dr.   Decker. »Sie glauben nicht, wie gerne ich einen Schweinsbraten mit Knödeln essen würde. Oder Ihr Huhn hier. Aber dann wäre ich in vier Wochen schon tot. Mit Rohkost lebe ich ein bisschen länger, das ist alles. Einen Rest Vernunft braucht man auch im Umgang mit dem Tod. Man sollte es nicht glauben, aber sterben ist eine Kunst. Deshalb brauche ich unter anderem viel Schlaf.« Sie schenkte mir erneut ein faltiges Lächeln. »Gute Nacht, Herr Jesper.«
    Sie stand auf, nickte in die Runde und verließ die Tafel.
    Saffkin und De Vries hatten sich ebenfalls erhoben. De Vries beugte sich zu Felicité, ich sah, wie seine Hand einen Moment ihre nackte Schulter berührte. Die Giulianis unterhielten sich angeregt am Ende der Tafel mit Fox und Farouk, wahrscheinlich über geimpfte Schimpansen.
    De Vries wandte sich an mich.
    »Haben Sie Lust, noch für eine halbe Stunde mit uns zu kommen, Herr Jesper? Vielleicht mit einer Flasche Champagner. Und vier Gläsern.«
    Felicité sah zu mir herüber. Sie nickte unmerklich.
    Ich ging in den Küchenschuppen hinüber und holte eine Flasche Pommery aus Ze Zés Vorrat, machte einen Strich und ein »P« auf die Liste an der Kühlschranktür hinter De Vries’ Namen. Eigentlich war alles inklusive, aber Ze Zé hatte für De Vries eine Liste angelegt, für alle Fälle.
    Mit der Flasche und vier Gläsern fand ich mich auf De Vries’ Terrasse ein, wo er mit Saffkin und Felicité saß, die Korbstühle hatten sie nach außen gerichtet, dorthin, wo die Nacht über dem unsichtbaren Fluss lag. Ein Windlicht stand hinter ihnen auf dem Tisch. Es war noch immer sehr warm. Die Zikaden waren in den gleichmäßigen Rhythmus verfallen, den sie die ganze Nacht durchhalten konnten. Das Windlicht warf flackernde Schatten auf die porösen Adobewände. An einem der Pfosten, die das Vordach trugen, klebte unbeweglich ein großer, ganz weißer Gecko.
    Ich machte mich daran, die Champagnerflasche zu öffnen. Das war etwas, was ich konnte. Saffkin sah mir dabei zu, mit der Geistesabwesenheit, die man entwickelt, wenn man entweder sehr in Gedanken oder betrunken ist. Felicités Gesichtsausdruck war nicht zu entschlüsseln. Sie wirkte angespannt, obwohl sie mit De Vries flirtete, der sich gerade gestikulierend sein Französisch von ihr verbessern ließ. Mir war nicht klar, wohin das hier führen würde, zum Beispiel wie viel persönliche Betreuung Gäste erwarten durften. Vielleicht gab es Sonderkonditionen. Jedenfalls wollte Felicité mich dabeihaben, so viel hatte ich begriffen.
    Während ich die Drähte an der Flasche aufdröselte, musste ich – so geht es mir leider oft, wenn ich nervös bin – an eine der blödsinnigen Studien denken, die ich gelesen hatte. Vielleicht fiel mir wegen der hochhackigen Schuhe Felicités, die ihre Beine übereinandergeschlagen hatte, diejenige ein, die belegte, dass Frauen, die hochhackige Schuhe tragen, schneller zum Orgasmus kommen. Weil ihre Beckenmuskulatur durch das Tragen solcher Schuhe angeregt wird – angeblich. Ich vergaß, den Korken mit der Serviette zu bremsen, es knallte. Die Zikaden hielten inne, und das Portando der Frösche vom Fluss her bekam eine kleine Delle, ehe es wieder einsetzte. Vorsichtig goss ich die Gläser voll.
    De Vries lächelte mich an, deutete

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