Gaelen Foley - Amantea - 01
seidigen Schleiern verhängt, so dass man nur undeutlich das Zimmer dahinter sehen konnte.
Ihre Entführer stießen sie leicht nach vorn, so dass sie in den Raum stolperte. Misstrauisch betrachtete sie die zwei schwarzen Männer, die bewegungslos dastanden und sie nicht zu beachten schienen.
Allegra fand sich in einem großen, luftigen Zimmer wie- der, das von vielen mit brennendem Öl gefüllten Gefäßen erleuchtet wurde, die auf eiserne Ständer gestellt waren. Weihrauch wurde auf Kohlenstückchen verbrannt und erfüllte die Luft mit betäubendem Duft.
Der Raum war von zierlichen weißen Säulen umgeben, und in der Mitte befand sich ein hübsches gekacheltes, in den Boden eingelassenes Bad mit einem Springbrunnen in der Mitte. Überall lagen auf dem kühlen Marmorboden weiche Teppiche, während seidene Tapisserien die Wände schmückten.
Als Allegra sich umsah und nach einem Ausgang suchte, um die Festung nach Lazar durchsuchen zu können, vernahm sie auf einmal ein leises Schlurfen hinter sich.
Sie drehte sich um und sah einen Jungen von etwa vier- zehn Jahren, der zwischen zwei Säulen stand. Er schaute zuerst nach rechts, dann nach links, ehe er sie zu sich heranwinkte.
Er war ein ausgesprochen schöner Jüngling, der ei- nen festen, wohlgeformten Körper besaß und nichts von der schlaksigen Ungelenkigkeit seiner Altersgenos- sen aufwies. Er hatte rabenschwarzes Haar, nachdenklich blickende dunkle Augen, lange, dichte Wimpern und volle Lippen, die ihm einen sinnlichen Schmollmund gaben, der für sein zartes Alter ein wenig verwirrend war.
Er trug ein weißes fließendes Gewand wie die Männer, die sie draußen gesehen hatte, doch seine Kleidung war
aus feinstem Flachs. Als sie näher kam, nickte er ihr zu und schien ihr eine Frage zu stellen, die sie jedoch nicht verstand, da sie wohl auf Arabisch formuliert worden war.
Allegra zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht. Sprichst du Italienisch?“
Nach einer Weile einigten sie sich auf Spanisch.
„Ich komme aus Andalusien“, sagte er lächelnd, doch seine Augen blickten nach wie vor ernst. „Ich heiße Darius Santiago.“
„Du musst mir helfen“, sagte sie. „Vielleicht können wir dann beide von hier fliehen. Wie bringe ich die Männer dazu, mich zu Malik zu bringen?“
„Keine Sorge. Er wird schon früh genug zu dir kommen“, erwiderte der Junge mit einem bitteren Lachen. „Seine neuesten Sklaven interessieren ihn stets am meisten.“
Sie blickte ihn einen Moment an, ohne zu verstehen. „Sklaven?“
Überrascht schaute er nun drein. „Weißt du denn nicht?“
O mein Gott! Allegra starrte Darius an und begriff. Lazar war ebenfalls einmal ein Sklave hier gewesen.
Reglos stand sie da und vermochte vor Entsetzen und Schrecken kaum zu atmen. Sie hatte das Gefühl, als ob die Welt um sie herum zusammenstürzen würde. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren.
Rasch stellte sie sich vor. Obgleich Darius nicht zu glau- ben schien, dass sie tatsächlich eine Frau war, hörte er aufmerksam zu, als sie ihm erklärte, dass die Stadt bald beschossen werden würde. Als sie ihm sagte, dass sich La- zar irgendwo in der Festung befand, leuchteten Darius’ schwarze Augen voller Begeisterung auf.
„Deshalb war es heute Abend so unruhig. Es ist kaum vorstellbar. Er ist hier – der große Shaytan Pasha! Bei al- lem, was heilig ist – was würde ich alles geben, wenn ich ihm dienen dürfte!“
„Hast du denn von ihm gehört?“
„Natürlich.“ Er pfiff durch die Zähne und strich sich eine schwarze Locke aus der Stirn. „Jeder hier hat von ihm gehört. Wie viele Geschichten habe ich schon von ihm ver- nommen – Geschichten, die mir wieder Mut gaben, wenn ich am liebsten gestorben wäre.
Er hat diese Hölle hier überlebt, und ich werde es auch tun. Das ,Schwert’ wird meinen Willen nicht brechen. Wie
Shaytan werde ich entkommen und so mächtig wie er wer- den. Und wenn ich zurückkehre, um Malik zu töten“, fügte er mit einem wilden Blitzen in den Augen hinzu, „wird es mir gelingen.“
„Kannst du uns helfen?“
„Vielleicht. Ich werde mich erst einmal umhören. Warten Sie hier auf mich.“
„Ich begleite dich ...“
„Das werden sie nicht erlauben“, sagte er. „An mich sind sie gewöhnt. Ich darf mich frei in der ganzen Festung bewegen.“
„Bitte beeile dich“, flehte Allegra ihn an.
Darius nickte und schlich davon. Doch bevor er an der Tür war, drehte er sich noch einmal um und sah ihr fest
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