Gaelen Foley - Amantea - 01
verschwand.
Lazar saß in der zunehmenden Dämmerung und sah starr vor sich hin.
Nachdem er nun endgültig seine Bestrafung – die Ein- samkeit – angenommen hatte, würde er auch die höchste Last der Krone auf sich nehmen – er ganz allein.
Er könnte sich auf diese Weise in die Aufgaben, die ihn erwarteten, stürzen und sich darin verlieren. Während er sich einen Brandy einschenkte, überlegte er sich, wie anders als Allegra er doch war.
Sich selbst zu opfern ließ einen Menschen wie ihn nur noch verbitterter werden.
Allegra konnte es noch immer nicht fassen, dass er sie eine Hure genannt hatte. Natürlich hatte er vor Trauer und Schmerz für den Moment den Verstand verloren.
Aber genau als eine solche sieht er dich, flüsterte ihr die heimtückische Stimme ihres Gewissens ein. Du hast diesen Weg selbst und aus freien Stücken gewählt. Jetzt musst du auch mit den Folgen leben können.
Wie konnte er nur behaupten, dass er sie nicht liebte? Selbstverständlich liebte er sie. Er war einfach zu aufge- wühlt gewesen.
In jener Nacht war Allegra, die sich in der Kajüte ver- krochen hatte, wo vor kurzem noch der Vikar gelebt hatte, durch Lazars Heftigkeit zutiefst erschüttert.
Sie wusste, dass ihn der Verlust seines Freundes bis ins
Mark getroffen hatte, aber sein Verhalten war ihr dennoch unerklärlich. Er hätte sich an sie wenden sollen, um von ihr getröstet zu werden, und nicht, um sie zu verletzen. Das schien so gar nicht zu dem Lazar, den sie kennen gelernt hatte, zu passen.
Angespannt wartete sie auf ein leises Klopfen an ihrer Tür. Sie war sich sicher, dass er bald zu ihr kommen, sie um Verzeihung bitten und den Trost, dessen er so dringend bedurfte, bei ihr suchen würde.
Obgleich er eine Strafrede für sein Verhalten verdiente, hatte Allegra vor, ihm sogleich zu vergeben, wenn er sich bei ihr entschuldigte. Sie fühlte sich so einsam, erschüttert und durch seinen unvorhergesehenen Angriff verletzt, dass sie sich nach nichts mehr sehnte, als seine Nähe zu spüren.
Die Stunden vergingen, und sie wartete noch immer. Das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie aufwachte und es Morgen war.
Vielleicht hat er geklopft, und ich habe es im Schlaf nicht gehört, dachte sie, während sie sich rasch ankleidete.
Das tat er ganz sicher, du Hure! Sie zuckte unter der grausamen Stimme ihres Gewissens zusammen und machte sich auf die Suche nach Lazar.
Zweifelsohne würde er sich in der Zwischenzeit etwas beruhigt haben. Wahrscheinlich wäre er bereits zu ihr ge- kommen, um sie um Verzeihung zu bitten, hätten ihn nicht seine Pflichten als Kapitän davon abgehalten.
Sie entschloss sich, dass nicht einmal eine wörtliche Ent- schuldigung vonnöten wäre. Könnte sie ihn nur ansehen und sein reuevolles, zerknirschtes Lächeln erkennen, wäre sie sich sicher, dass alles wieder gut werden würde.
Doch diese Gewissheit wich rasch einer schrecklichen Vorahnung, dass nichts mehr so wäre, wie es früher einmal gewesen war.
Als sie ans Deck ging, verstand sie sofort, warum er nicht zu ihr gekommen war.
Natürlich, dachte sie erleichtert.
Die Pirateninsel – die „Wolfshöhle“ – erschien am Ho- rizont. Sie war nur noch zwei Leagues von ihnen entfernt – ein großer, grün bewachsener Felsen, der in der Sonne schimmerte. Sie wollten gerade Anker werfen, und Lazar gab die entsprechenden Befehle.
Die Männer zeigten erstaunlich fröhliche Gesichter. Al-
legra beobachtete Lazar, der an der Reling stand und durch sein Fernrohr schaute, während er den Seeleuten, die bei ihm standen, Anweisungen erteilte. Sie machte keine Anstalten, auf ihn zuzugehen.
Nein, dachte sie. Er soll den Anfang machen.
Mr. Donaldson trat auf sie zu und erklärte, dass die Pi- raten die Zufahrt zur Insel sehr gut kannten und es sogar geschafft hätten, die „Walfisch“ mit zugebundenen Augen zwischen den Korallenriffen hindurchzuschleusen.
Alle jubelten von den Takelagen, den Spieren, der An- kerwinde und den Seilen, als das Schiff endlich in seinen Heimathafen einlief.
Die Landungsbrücke wurde heruntergelassen, und die Männer schwärmten aus. Sogleich begannen sie mit dem Vertäuen. Mit riesigen Tauen banden sie die „Walfisch“ an die häufig benutzten Pfosten des Hafens. Möwen kreisten kreischend über ihre Köpfe hinweg, und Pelikane bettelten um Fisch, wurden jedoch unsanft weggejagt.
Da Lazar anscheinend nicht bemerkt hatte, dass sich Allegra ebenfalls an Deck befand, entschied sie, sich be-
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