Gaelen Foley - Amantea - 01
stellte sich Lazar Rei- hen von Orangenbäumen in einem von der Sonne über- fluteten Hain vor. Das tat er manchmal. Dann erschienen in seiner Fantasie glänzende reife Tomaten und helle Trauben, die von einem Gitter baumelten.
Jetzt sah er vor seinem inneren Auge Allegra, die barfuß ihren Rock raffte und lachte, während sie die Trauben in einem großen Holzbottich für seinen Wein zertrat.
Daraufhin erschien in seiner Vorstellung ein grau ge- sprenkeltes Pflugpferd. Diesmal führte er das träge Tier am Zügel. Auf seinem breiten Rücken saßen drei kleine, wunderschöne Kinder.
Plötzlich riss er, hellwach geworden, in der Dunkelheit verblüfft die Augen auf. Ja. Das war die Antwort. Daran gab es keinen Zweifel. Die Felder seiner Familie waren zerstört worden, doch er konnte irgendwo neue bepflan- zen. Er musste nicht mit ihnen sterben, wie er das in seiner Verbitterung die ganze Zeit über geglaubt hatte.
Kinder der Fiori, dachte er voller Verwunderung, Kin- der, die frei und in Sicherheit lebten, weit weg von der ewigen Bürde der Krone. Weit weg von der ewigen Gefahr, die eine solche Stellung mit sich brachte.
Das Einzige, was er tun musste, war, seine Männer in das alte Versteck Kapitän Wolfes zurückzubringen. Dann mochten sie einen neuen Piratenanführer wählen, so dass er und Allegra ihren eigenen Weg gehen konnten.
Vielleicht würden sie sich auf Martinique oder an der Küste von Florida oder irgendwo bei Neapel oder auf Sizilien – in der Nähe von Amantea – niederlassen.
Er starrte in die Dunkelheit, ohne etwas zu sehen. Ein Gedanke jagte den anderen. Als er auf einmal erkannte, dass er sich so glücklich wie selten in seinem Leben fühlte, belustigte ihn das ein wenig.
Sein Zynismus ließ sich nicht so leicht ablegen. Aber er musste zugeben, dass Allegra mit dem, was sie gesagt hatte, im Recht war: Es gibt immer Hoffnung.
Kinder, dachte er, noch immer überwältigt von der Vorstellung.
Bei seinen früheren Liebschaften war er stets vorsich- tig gewesen. Wie gut ihm auch die Frauen, die er gekannt hatte, gefielen, so waren sie doch nicht diejenigen gewesen, mit denen er Töchter und Söhne hätte bekommen wollen. Soweit er wusste, hatte er niemals Kinder gezeugt.
Eine Weile liebkoste er Allegra, die weiterhin fest schlief. Sie ist eine schöne, entschlossene Frau, die Wertvorstellun- gen besitzt, dachte er stolz. Sie sollte seine Kinder gebä- ren. Damit würde die Tradition einer siebenhundert Jahre alten königlichen Familie fortgesetzt.
Lazar begann, sich zu überlegen, wie er um ihre Hand anhalten sollte, ohne wie ein völliger Narr dazustehen. Da ertönte eine heimtückische Stimme in seinem Inneren, die einen Schatten über die strahlende Landschaft seiner Wunschbilder warf.
Vielleicht waren es die Jahre auf dem Meer, die ihn wie alle Seeleute abergläubisch hatten werden lassen. Aber was wäre, wenn sein Glück schicksalhaft zerstört würde, indem wieder einmal diejenigen, die ihm etwas bedeuteten, ausgelöscht wurden?
Mach dich nicht lächerlich, tadelte er sich selbst und stellte sich den Vikar als Beispiel vor. Er war nun be- reits seit über zehn Jahren bei ihm und hatte es geschafft, unversehrt zu bleiben.
Dennoch war der Gedanke, dass Allegra wegen seiner früheren Verbrechen oder seines gefährlichen Lebenswan- dels etwas zustoßen könnte, so entsetzlich, dass er bei- nahe das Vorhaben einer Heirat wieder aufgab. Bei einem Plantagenbesitzer aus Martinique wäre sie sicher besser aufgehoben. Und Säuglinge?
Mein Gott, was gab es Verletzlicheres als einen Säugling?
Seine Miene verfinsterte sich. Allegra hatte ihn oft als selbstsüchtig bezeichnet. War seine Idee, sie zu ehelichen und mit ihr Kinder zu haben, nicht die selbstsüchtigste überhaupt?
Er war innerlich zerrissen. Die gedungenen Mörder, die alten Verschwörer des Staatsrats, sogar Monteverdi – alle waren tot. Wahrscheinlich hatten Jeffers und seine Leute inzwischen auch Domenico Clemente vor seinen Schöpfer geschickt.
Monteverdis Herrschaft war vorbei.
Nun musste doch der Fluch, der auf ihm, Lazar, gelastet hatte, endlich gebrochen sein. Er hatte bereits eine Familie verloren. Obgleich er eher an das Unheil glaubte, konnte er sich nicht vorstellen, dass der Blitz zwei Mal in den gleichen Baum einschlug.
Doch als er Allegras sanften, ruhigen Atem an seinem Hals spürte, wusste er, dass er nicht das geringste Wag- nis eingehen durfte. Nein, er wollte dem Schicksal einen Streich spielen oder
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