Gaelen Foley - Amantea - 02
In den darauf folgenden Stunden trafen Kardinäle, Bischöfe und Geistliche ein, während die Kirchenglocken von ganz Mailand zu läuten begannen.
Geduldig wartete der Spanier auf seinen Einsatz – wie ein Panter, der seiner Beute auflauert. Eine Staatskarosse nach der anderen erschien, jede von sechs Pferden gezogen, die mit goldenen Federn geschmückt waren. Darius sah zu, wie die vornehm gekleideten Minister, Diplomaten und Adeligen ausstiegen und in den Dom gingen.
Er schüttelte den Kopf, als Bonapartes so genannte Prin- zessinnen erschienen. Zwei mit vor Verlegenheit geröteten Wangen und eine, die stolz das Kinn hob. Das musste Pauline sein, die sich so viel auf ihre Schönheit einbildete.
Allen Ankömmlingen wurde aus den Equipagen geholfen, und sie wurden langsam zu den großen Eisentoren des Doms geführt. Darius wusste, dass sich ihm nur eine sehr kurze Gelegenheit bieten würde, Napoleon zu erschießen.
Am Tag zuvor hatte er das Dach des Doms als den besten Ausgangspunkt für sein Attentat entdeckt. Es war ihm klar gewesen, dass er große Schwierigkeiten damit haben würde, innerhalb der Stadtmauern zu gelangen, ohne von den Sol- daten bemerkt zu werden. Plötzlich hatte er mehrere Mönche
entdeckt, die sich von Pavia her auf dem Weg zur Krönung befanden.
Das war die Lösung. Er brachte sein Pferd in einem Stall vor der Stadt unter, verkleidete sich als Ordensbruder und verbarg seine Waffen unter der weiten braunen Kutte. Dann hatte er sich den Mönchen angeschlossen.
Es überraschte ihn nicht, als er hörte, dass sie sich mehr auf den Anblick von Papst Pius VII. freuten als auf den des Kai- sers. Nachdem sie ihre Unterkunft in Mailand erreicht hat- ten, wurden sie zu einem Rundgang durch den riesigen Dom eingeladen. Santiago wurde durch eine Stadt geführt, die vor Stolz und Aufregung über den bevorstehenden Krönungstag nur so zu vibrieren schien.
Im Dom wurde alles für den großen Tag hergerichtet. Ar- beiter schmückten den Altar und das Mittelschiff der Kirche mit einem wahren Meer von Blumen. Der Diakon, der die Gruppe führte, zeigte ihnen das Taufbecken, wo der Heilige Augustinus persönlich getauft worden war. Schließlich flüs- terte er den Mönchen zu, dass er ihnen auch das Dach zeigen wollte, von wo aus man einen herrlichen Ausblick auf Mai- land genießen konnte. An klaren Tagen konnte man sogar die Alpen erkennen.
Darius sah sie deutlich.
Die Mönche waren weitergegangen, aber der Spanier war unbemerkt zurückgeblieben. Nun wusste er, dass er den richtigen Platz für sein Vorhaben gefunden hatte.
Im Schatten einer vergoldeten Marienstatue blinzelte er in die Sonne und stellte ohne Überraschung fest, dass sich Napoleon verspätet hatte.
Gerade holte er seine Taschenuhr heraus, als eine Kanonen- salve die Ankunft seines Opfers ankündigte. Darius steckte die Uhr ein, zog ein letztes Mal an seiner Zigarre, warf sie fort und griff mit ruhiger Hand nach der geladenen Waffe.
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, legte das Gewehr an und platzierte den Lauf auf einem Sims.
Ihm war klar, dass er vielleicht nur einen einzigen Schuss abgeben konnte. Doch er hatte vor, so oft wie möglich zu feuern, während Napoleon ungeschützt war und man noch nicht herausgefunden hatte, wo der Attentäter saß.
Seine Absichten waren klar und eindeutig.
Napoleon umzubringen.
Nicht lebend verhaftet zu werden.
Neben seinem Gitarrenkoffer lag die braune Mönchskutte.
Er hoffte, dass er sie nach dem Mord anlegen und sein Ge- sicht unter der Kapuze verstecken konnte. Es waren so viele Mönche in der Stadt, dass es möglich sein musste, ungesehen vom Dach herunterzukommen und sich unter die Besucher im Dom zu mischen.
Sollte dies fehlschlagen, besaß er noch immer das Arsen.
Gesammelt und mit klarem Kopf beobachtete Darius die kaiserliche Equipage, die mit kleinen Spiegeln und vergol- deten Bienen geschmückt war. Die Kutsche glitzerte in der Nachmittagssonne, so dass Darius einen Moment die Augen schließen musste.
Acht braune Pferde mit goldenen Federn auf den Köpfen zogen das riesige Gefährt auf den Domplatz.
Darius wurde sich immer mehr seiner Umgebung bewusst. Er spürte die warme Sonne auf seiner Haut und hörte die wenigen begeisterten Willkommensrufe der Menge unter ihm. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein paar Tauben auf dem Dach landeten.
Mit einer Hand befestigte er die winzige Linse auf dem Ge- wehr. Er sah hindurch und konzentrierte sich nun völlig auf die schimmernde
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