Gaelen Foley - Amantea - 03
bittersten benötigten. Verzeihen Sie meine Direkt- heit nach all den Jahren des Schweigens. Aber wenn Sie noch immer diejenigen retten wollen, die sich in Ge- fahr befinden, sollten Sie wissen, dass es jemand gibt,
der Ihre Hilfe und den Einfluss, den Ihnen Ihre neue Stellung gewährt, dringend braucht.
Interessiert runzelte Daniela die Stirn.
Die junge Unglückliche, um die es geht, ist ein gefal- lenes Mädchen. Sie heißt Carmen und tauchte letzte Nacht völlig aufgelöst bei uns auf. Sie behauptet, die Zeugin eines abscheulichen Mordes geworden zu sein und sich nun selbst in Lebensgefahr zu befinden. Das Opfer war angeblich ein junger Koch der königlichen Küchen. Wir haben Carmen die Nacht über in unserem Kloster untergebracht, aber um Gottes Güte willen weiß ich nicht, wie wir sie beschützen sollen, falls sich ihre Geschichte tatsächlich als wahr herausstellt.
Auf Grund ihres augenblicklichen unaussprechbaren Lebenswandels und der Identität des Mörders, den sie klar und deutlich sah, ist es ihr nicht möglich, zur Stadtpolizei zu gehen und dort eine Aussage zu ma- chen. Sie, Königliche Hoheit, sind die Einzige, mit der sie sprechen möchte. Wenn Sie willens sind, das Mäd- chen anzuhören, kommen Sie bitte so schnell wie mög- lich in das Kloster Santa Lucia. Der Heilige Geist sei mit Ihnen.
Ihre Schwester in Christi,
Schwester Oberin Bernadetta Rienzi
Ohne eine Sekunde zu zögern, griff Daniela nach Hand- schuhen und Hut und eilte aus ihren Gemächern. Sie wollte Rafael aufsuchen, um ihn wissen zu lassen, wohin sie fuhr. Sobald sie auf den Gang trat, folgten ihr sechs kräftige Sol- daten der Leibgarde. Ein Diener informierte sie, dass sich der Kronprinz mit seinem neuen Kabinett im Beratungssaal befand.
Daniela betrat den Raum, als gerade eine heftige Diskus- sion über den Tod Bulbatis im Gang war. Rafael saß am Kopfende des langen Tisches. Elan, der sarkastische Conte Niccolo, der hochmütige Adriano und ein paar andere hatten zu beiden Seiten Platz genommen.
Adriano warf Daniela einen abweisenden Blick zu. Sie ach- tete nicht auf ihn, sondern reichte ihrem Mann den Brief, den sie soeben erhalten hatte. Er nahm ihre Hand und führte sie
– galant wie immer – an die Lippen. Rasch überflog er das Schreiben.
Angespannt beobachtete sie ihn, als er den Brief auf den Tisch legte und sich stirnrunzelnd am Kopf kratzte.
„Ich werde mitkommen“, teilte er Daniela mit. Dann sah er seine neuen Minister an. „Niccolo, Elan, Adriano, ihr be- gleitet uns. Die anderen können sich jetzt entfernen. Wir versammeln uns heute Nachmittag noch einmal.“
„Rafael, das Mädchen scheint Todesängste auszustehen. Sie wird nicht vor allen ihre Geschichte erzählen wollen“, protestierte Daniela mit leiser Stimme.
Er erhob sich, legte die Hand auf ihren Rücken und drängte sie zur Tür. „Ich weiß. Aber ich habe eine gewisse Ahnung, wen sie als den Schuldigen nennen wird.“
„Wirklich?“ fragte Daniela und sah ihn überrascht an. „Wen verdächtigst du?“
Rafael schüttelte den Kopf. „Warten wir erst einmal ab.“
Zu ihrer Bestürzung ließ er sich im Gang vor dem Bera- tungssaal seine Waffen bringen. Besorgt blickte sie ihn an, während er seinen Degen und die Pistole festmachte. Dann folgte sie ihm hinaus. Wachsam sah er im Hof vor dem Palast umher und half Daniela dann in die Kutsche, die bereits auf sie wartete.
Seine drei Freunde kamen in einem zweiten Wagen nach. Danielas Leibgarde eskortierte auf Pferden das königliche Gespann, um es zu bewachen.
Daniela und Rafael sprachen wenig miteinander. Daniela war verwirrt und hätte ihn am liebsten zu Graf Bulbatis Tod befragt, doch sie spürte, dass er zornig war. Er strahlte etwas Bedrohliches aus, so dass sie nicht den Mut hatte, mit ihm zu reden. Ihr Gefühl, dass ein Unheil in der Luft lag, nahm noch zu. Rafael sah angespannt aus dem Fenster.
Als sie am Kloster eintrafen, begrüßte Oberin Bernadetta die Prinzessin, aber sie verschwendeten keine Zeit mit langen Gesprächen. Die große entschlossen wirkende Nonne ging, die Hände in den Ärmeln ihrer schwarzen Kutte, voran. Für eine Frau besaß sie etwas zu breite Schultern.
Die Schwester führte Daniela sogleich zu dem Mädchen. Rafael und die anderen Männer warteten schweigend in einem Zimmer neben dem Eingangsportal.
Carmen war eine hübsche, schwarzhaarige Frau, die dunkle, wache Augen hatte. Für ihr Gewerbe war sie bemit- leidenswert jung, vielleicht sechzehn oder
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