Gaelen Foley - Knight 02
Alec, dachte er. Sein jüngster Bruder war ein sorgloser Draufgänger mit einer Vorliebe für das Glücksspiel. Finster starrte er auf das Haus, sah das Licht, das durch die Fenster im Erdgeschoss fiel. Schon hörte er den Lärm von irgendei- ner rauen Feier im Haus. Der prüde Robert wäre entsetzt, dachte er, als er das Tor mit seinem Schlüssel hinter sich ab- sperrte.
Ein Stallbursche hatte die Geräusche gehört und kam nun aus den Ställen herbeigeeilt. Lucien übergab ihm die Zügel, tätschelte dem erschöpften Tier noch einmal dankbar den Hals und ging dann müde die Vordertreppe hinauf und ins Haus hinein. Dort war er von dem strahlenden Kronleuchter und dem weißen Marmor in der Eingangshalle förmlich ge- blendet.
„Guten Abend, Lord Lucien“, begrüßte ihn Mr. Walsh, der überaus kompetente Butler von Knight House. Dessen höfli- ches Lächeln verwandelte sich alsbald in ein Stirnrunzeln. Besorgt nahm er ihn in Augenschein. „Brauchen Sie viel- leicht etwas, Sir?“
Lucien war klar, dass er einfach höllisch aussehen musste. Müde fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Souper, Mi- gränepulver, heißes Wasser für ein Bad, Verbandsmaterial und eine Wundsalbe. Ich habe mir einen kleinen Kratzer ein- gehandelt.“
„Tut mir Leid, das zu hören, Sir. Kommt alles sofort.“
„Sind das Alec und seine Freunde beim Kartenspiel, die da so lärmen?“ fragte er und nickte zum Speisesalon hinüber, während er dem Butler seinen Mantel gab. In seiner trübse- ligen Verfassung könnte er ein wenig Aufmunterung seitens seines frechen kleinen Bruders gut brauchen.
„Nein, Sir, Lord Damien ist mit ein paar Offizieren der Garde hier.“
„Ach, die Helden von Badajoz“, murmelte er. „Ich gehe in mein Zimmer.“
Als er die Treppe hinaufstieg, fühlte er sich mit jedem hei- seren Lachen, das aus dem Speisezimmer drang, verlassener. Er betrat sein Zimmer und ging ans Bett, ohne eine Kerze zu entzünden, setzte sich und stützte den schmerzenden Kopf in die Hände. Seltsam, die Woche mit Alice hatte ihn vergessen lassen, wie leer man sich fühlte, wenn man ganz allein war auf der Welt. Damiens raue Kameradschaft mit den anderen Offizieren brachte Lucien wieder schmerzlich zu Bewusst- sein, wie isoliert er selbst war. Er betrachtete das Bett und fragte sich, wie er ohne Alice darin schlafen sollte.
Obwohl er vollkommen durcheinander war, hatte der Hun- ger seine Sinne geschärft. Während des langen Ritts hatte er sich verschiedene Pläne durch den Kopf gehen lassen, wie er Bardou am besten fassen konnte. Es gab viel zu tun, aber es war schon spät. Gleich morgen früh würde er anfangen.
Er legte sich erschöpft hin und wartete in der Dunkelheit darauf, dass ihm die Dienstboten etwas zu essen und die an- deren Dinge brachten, um die er gebeten hatte. Er fragte sich, ob es Alice in Hampshire genauso schlecht ging wie ihm.
„Na, so etwas – Miss Montague!“ rief Hattersley aus und hieß sie und Peg im eleganten Stadthaus der Montagues in der Upper Brook Street willkommen. Es war Sonntagnach- mittag. „Ach, wie schön, kommen Sie doch herein!“ Der freundliche Butler war ein gepflegter kleiner Mann mit
Glatze und zwinkernden blauen Augen. „Dem Himmel sei Dank, es geht Ihnen wieder gut. Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht.“
„Danke, Mr. Hattersley. Ich freue mich auch, Sie zu sehen“, erwiderte Alice warm.
Im Morgengrauen waren sie Peg und Nellie nach London aufgebrochen, mit Mitchell als Kutscher – während Luciens Wachleute tief und traumlos schliefen. Alice hatte sie mit Laudanum betäubt.
„Mrs. Tate“, begrüßte der Butler Peg. Die beiden treuen Dienstboten wechselten einen Blick, mit dem sie sich gegen- seitig ihrer Anteilnahme versicherten.
„Ich bin gekommen, um diesen Unsinn aus der Welt zu schaffen“, verkündete Alice etwas leiser. „Ist Ihre Lady- schaft zu Hause?“
„Das ist sie in der Tat, Miss. Im Frühstückszimmer.“
„Und wie geht es unserem kleinen Patienten?“
Er lächelte. „Zum Glück sind Master Harrys Pusteln im Abheilen begriffen.“
Alice schaute den Flur hinunter und entdeckte einen win- zigen Blondschopf, der um die Ecke lugte. Ihre Augen leuch- teten auf. „Harry?“ fragte sie und nahm den breitkrempigen Hut ab.
Er trat in die Tür und nahm den Daumen in den Mund. Zu ihrer Überraschung hatte er statt der einfachen weiten Ge- wänder, die Kinder beiderlei Geschlechts bis zu ihrem vier- ten Geburtstag normalerweise trugen, schon
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