Gaelen Foley - Knight 02
keinerlei Trost. Ihn zu schlagen, weil er geweint hatte! dachte sie schaudernd.
„Sie hat überhaupt keine Ahnung, wie man mit einem klei- nen Kind umgeht, aber wer bin ich, ihr das zu sagen?“ mein- te Peg schniefend.
„Nur jemand, der schon Kinder großgezogen hat, als sie noch nicht einmal geboren war!“ antwortete Alice und tät- schelte ihr die Hand. „Bitte begleite mich morgen nach Lon- don. Bestimmt ist Harry ohne dich vollkommen verloren.“
„Wie gut mir das tut, was Sie da sagen, Kindchen“, flüster- te Peg und tupfte sich die Augen mit dem Schürzenzipfel ab. „Es wäre schrecklich für mich, wenn man mich nicht mehr brauchte. Ach, zum Kuckuck!“ Sie schniefte und strich die Schürze glatt, wie um sich zu fassen. „Also dann, den Tee.“
„Ich mach ihn schon“, mischte Nellie sich ein.
„Vergessen wir den Tee. Ich glaube, wir alle könnten jetzt ein Schlückchen Brandy vertragen“, verkündete Alice und ging zum Spirituosenschrank. Irgendwie müssen wir uns da- vonstehlen, ohne dass McLeish und die Wachleute es mitbe-
kommen, überlegte sie, während sie sich und den anderen ein Gläschen einschenkte. Luciens Männer hatten Befehl, dafür zu sorgen, dass sie in Glenwood Park blieb, aber sie hatte nicht die Absicht, sich in ihrem eigenen Heim einsperren zu lassen. „Hier kommen zwei Gläschen Brandy.“
„Ach, das geht doch nicht.“
„Für die Gesundheit. Ich bestehe darauf.“
„Danke, Miss Alice“, sagte Nellie schüchtern.
Alice warf ihr einen aufmunternden Blick zu und stieß mit ihr an. Sie mochten Dienstboten sein, aber sie waren ihre Fa- milie. „Wir sollten Lord Luciens Dienern etwas zu essen hi- nausschicken. Haben wir Bier für sie?“
„Bier nicht, aber Wein.“
„Gut“, erwiderte Alice mit einem verstohlenen kleinen Lä- cheln. Sie wusste genau, wo das Laudanum aufbewahrt wur- de.
McLeish und seine Gefährten würden heute Nacht lang und tief schlafen.
Der dichte Londoner Nebel dämpfte den schwachen Schein der Straßenlaternen und hüllte Lucien ein, der soeben auf seinem schwarzen Hengst die Pall Mall entlangritt. Das Huf- geklapper hallte hohl von den Häuserwänden wider. Mann und Pferd waren völlig erschöpft.
Am Stadtrand hatte er sich von Marc und den anderen ge- trennt. Sie hatten sich in ihre Junggesellenunterkünfte bege- ben, während Lucien unterwegs zum Knight House war. Ge- rade bog er rechts in die St. James’s Street ein. Das hochherr- schaftliche palladianische Anwesen am Green Park war das Juwel im Familienschatz. Offiziell gehörte es Robert, seinem ältesten Bruder, dem Duke of Hawkscliffe, doch der Rest der Knight-Sippe war dort immer willkommen. Lucien und Da- mien wohnten dort, seit sie vor ein paar Monaten aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Robert und Belinda, die frisch Vermählten, weilten noch in Wien auf Hochzeitsreise, daher waren die Zwillinge ihren ehelichen Vergnügungen keines- falls im Weg. Lucien war überaus neugierig auf Roberts Braut. Die Hochzeit des Herzogs hatte einen ziemlichen Skandal verursacht, da Belinda eine stadtbekannte Kurtisa- ne und Roberts Geliebte gewesen war, bevor er sie gebeten hatte, seine Frau zu werden. Nach allem, was man hörte, war
sie eine atemberaubende Schönheit.
Er seufzte. Er hatte sich so darauf gefreut, Alice seiner Fa- milie vorzustellen. Und nun würde er es noch aufschieben müssen – aber er würde sie auf alle Fälle zurückholen. Wenn sie dich wieder nimmt. Sein Kopf schmerzte zu sehr, als dass er diese Möglichkeit in Betracht ziehen wollte. Kurz darauf bog er in St. James’s Court ein, wo Knight House in all seiner Pracht hinter einem hohen, mit scharfen Spitzen bewehrten schmiedeeisernen Zaun stand. Himmel, jetzt brauchte er sein Bett. Seine Wunde müsste bestimmt auch frisch verbun- den werden. Er rechnete fast damit, dass sein Verband voll frischem Blut war, da seine Seite sich anfühlte, als stünde sie in Flammen. Der Ritt heute war für seine zwanzig Stiche wohl zu viel gewesen, aber er hatte sein Pferd und sich nicht geschont – die Zeit drängte zu sehr. Nachdem er den ganzen Tag über kaum etwas gegessen hatte, weil ihn Alices Zorn so aufregte, und fast eine Flasche Whisky geleert hatte, um die Wundschmerzen zu lindern, hatte er nun höllisches Kopf- weh. Seine Augen brannten, sein Herz schmerzte, und ihm tat von dem langen Ritt alles weh.
Steif stieg Lucien aus dem Sattel und öffnete selbst das Tor, verärgert, dass es nicht verschlossen war. Zum Teufel mit
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