Gaelen Foley - Knight 03
hängte sich die Ledertasche um, öffnete die Tür einen Spaltbreit und lugte nach draußen. Da sich auf dem Flur nichts regte, schlüpfte sie hinaus.
Auf Zehenspitzen schlich sie an Damiens Tür vorbei und ging dann mit züchtiger Miene nach unten in den Speise- saal. Vorher schaute sie noch kurz in den Schankraum. Mit erleichtertem Aufatmen stellte sie fest, dass Damien nicht dort unten saß, doch nahm sie stirnrunzelnd zur Kenntnis, dass die blonde Schankmagd immer noch ihr Tablett durch die Menge bugsierte.
Waren sie etwa schon fertig mit ihrem Akt der Lust, oder war sie noch gar nicht oben bei ihm gewesen? Sie tat die Frage mit einem Achselzucken ab. Es war egal. Sie hatte sich von Damien Knight längst verabschiedet.
Der Speisesaal war beinahe leer. Sofort fiel ihr Blick auf geeignete Opfer – zwei picklige Schüler um die siebzehn und ein nur wenig älter wirkender Begleiter, vermutlich der Privatlehrer. Sie hatte die Leute noch nicht gesehen. Wunderbar, dachte sie. Sie machte sich Hoffnung, dass die beiden Burschen erst spät eingetroffen waren und da- her nicht wussten, dass sie unter dem Schutz des berühm- testen Gastes stand. Wenn sie ihre Karten geschickt aus- spielte, könnten sie die beiden nach Yardley zurückbrin- gen.
Auf der Suche nach einer passenden Rolle ging sie ihr Repertoire an Melodramen durch, und ihr fiel Die wider- spenstige Erbin ein. Genau das Richtige! Mr. Chipping hät- te ihr damals beinahe die Rolle der Heldin überlassen, ihr dann im letzten Moment aber den Part der Kusine übertra- gen.
Sie setzte eine kummervolle Miene auf, was ihr nicht weiter schwer fiel, und ging schleppenden Schrittes in den Speisesaal, wo sie sich an einen Tisch am Kamin setzte und sich mit einem Taschentüchlein die Augen betupfte. Die beiden Jungen blickten auf, als sie hereinkam.
Der Kellner trat zu ihr, überrascht, sie schon wieder zu
sehen. Sie bat um Tee und einen Teller Kekse und tat, als bemerke sie die neugierigen Blicke der beiden Jungen nicht. Sie hörte, wie ihr Lehrer ihnen leise befahl, sie nicht so rüde anzustarren, doch als sie aus den Augenwinkeln zu ihnen hinüberschaute, erkannte sie, dass auch er zu ihr he- rüberblickte. Sie wandte das Gesicht zum Kamin, wie um ein lautes Schluchzen zu verbergen.
Das war für einen der Knaben einfach zu viel. Im nächs- ten Moment stand er an ihrem Tisch, ganz besorgte Ritter- lichkeit.
„Verzeihung, Miss.“
Mit der Etikette kannte sich Miranda durchaus aus, sie wusste, dass sie sich von einem jungen Mann nicht einfach ansprechen lassen durfte, wenn er ihr vorher nicht offiziell vorgestellt worden war. Zwar verhielt sich der junge Mann genau so, wie sie es sich erhoffte, doch warf sie ihm erst einmal einen empörten Blick zu.
„Verzeihung“, meinte der Jüngling und errötete. „Wir konnten nicht umhin zu bemerken, dass Sie sich anschei- nend in einer Notlage befinden, und da haben wir uns ge- fragt ...“ Er zögerte.
Miranda versuchte, ruhig zu bleiben.
„Also“, begann er erneut, „können wir irgendetwas für Sie tun?“
Sie ließ die Wimpern scheu flattern und schenkte dem jungen Mann ein zittriges Lächeln.
Es funktionierte. Im nächsten Augenblick waren auch der andere Schüler und der gestrenge Hauslehrer an ihrer Seite und boten ihr galant Hilfe an.
„Ach, liebe gute Lady ...“
„Wo drückt denn der Schuh ...?“
„Wie reizend von Ihnen. Ich weiß einfach nicht mehr weiter!“ Sie zerdrückte ein paar Tränen. „Ich bekam Nachricht, dass meine ehemalige Kinderfrau im Sterben liegt. Ich muss zu ihr. Ich liebe sie von Herzen. Sie hat nie- manden außer mir. Ich muss zu ihr, aber meine Eltern ha- ben es mir verboten. Ich gestehe, dass ich ... dass ich weg- gelaufen bin, um mich noch von ihr verabschieden zu kön- nen!“
„Du liebe Güte, Miss, das war aber nicht klug, aus Ihrem Elternhaus davonzulaufen“, sagte der Lehrer stirnrun-
zelnd. Er war selbst nicht älter als drei– oder vierundzwan- zig.
„Warum haben sie Ihnen denn nicht erlaubt, zu ihr zu ge- hen?“ fragte der zweite Junge mit großen Augen.
Miranda schniefte. „Sie haben es verboten, weil sie am selben Abend ein Treffen mit dem ekelhaften alten ... Colo- nel arrangiert haben, den sie mich zwingen wollen zu hei- raten.“
Die beiden Burschen stöhnten vor Entrüstung laut auf, doch der Lehrer betrachtete sie skeptisch.
„Die wollen Sie gegen Ihren Willen verheiraten?“ rief der erste Schüler aus.
„Kein Wunder, dass Sie davongelaufen
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