Gaelen Foley - Knight 05 - Rache im Blut
dass sie und die kleine Waise nach Irland fliehen wür- den.
Der schwarzhaarige Junge mit den meerfarbenen Augen und den trotzig verzogenen Lippen döste auf einer Bank im Ar- restzimmer des Direktors, wo er auf seine Bestrafung war- tete, und die Zeit schien sich zur Ewigkeit zu dehnen.
Devlin James Kimball, der siebzehnjährige Erbe des Vis- count Strathmore, hatte nach dem „Ausflug“ zunächst zu sehr unter seinem Kater gelitten, um überhaupt über die Kon- sequenzen seines Verhaltens nachdenken zu können, wie ver- schiedene Lehrkräfte der Schule ihn angewiesen hatten.
Nachdem er sich etwas besser fühlte, hatte er gut zwölf Stunden damit verbracht, sich überzeugende Entschuldigun- gen für den Streit mit dem Spürhund von Aufsichtslehrer auszudenken, mit denen er dem sicheren Zorn seiner Mut- ter begegnen wollte, aber verdammt, der Schuft hätte nicht diese Bemerkung über Admiral Lord Nelsons ruhmreichen Tod und den Sieg bei Trafalgar vor ein paar Wochen machen sollen. Dev hatte es als eine Sache der Ehre betrachtet, den Namen seines gefallenen Idols zu verteidigen.
Trotz seiner Entschuldigungen wusste er, dass er sich auf ei- niges würde gefasst machen müssen. Zum Glück würde sein Vater für ihn eintreten. Ein enttäuschter Blick seines Vaters
wirkte zehnmal mehr auf Dev als alle stürmischen Wutaus- brüche seiner Mutter. Er seufzte tief und ließ den Kopf gegen die weiß verputzte Wand sinken. Sein Magen knurrte. Hier konnte man glatt verhungern. Wo blieben sie überhaupt? Wa- rum hatte ihn noch keiner geholt?
Im Arrestraum gab es keine Uhr, aber er hatte das Gefühl, schon seit Tagen hier zu sitzen.
Ein unheilvolles Gefühl beschlich ihn – und er hatte eine Vorahnung, dass irgendetwas nicht stimmte. Dann erklangen Schritte, und rasch setzte er sich auf und maß mit finsterem Blick die Tür. Endlich. Hastig fuhr er sich mit den Fingern durch die schwarzen Haare und zog seine Krawatte zurecht, um seinen wenig erfreuten Eltern gegenüberzutreten.
Doch als die Tür aufging, runzelte Dev die Stirn, denn dort standen nicht Lord und Lady Strathmore, sondern der Direk- tor mit dem Schulkaplan, und beide sahen sehr ernst aus.
„Setz dich, Junge“, murmelte der Direktor unerwartet freundlich.
Dev gehorchte, sah aber durch die Tür in die Halle hinaus. „Sind sie gekommen?“
Der Kaplan zuckte zusammen und setzte sich neben ihn. „Mein lieber Junge, wir haben nach deiner Tante Augusta geschickt, damit sie dich abholt. Ich fürchte, es gibt schreck- liche Nachrichten ...“
1. Kapitel
London, 1817
Der fantasievoll gebaute Pavillon mit seiner Zwiebelkup- pel verfiel im gefrorenen Marschland südlich der Themse allmählich zu einer grellen Ruine, und der eisige Februar- wind setzte den falschen Türmchen und zugenagelten Fens- tern ordentlich zu. Einige behaupteten, in dem Haus würde es spuken, andere sagten, es wäre verflucht. Alles, was den kleingewachsenen Anwalt Seiner Lordschaft interessierte, war allerdings die Frage, ob sein schillernder Brötchengeber wohl bald erschien, ehe er sich bei diesem Wetter noch den
Tod holte.
Charles Beecham, Esquire, war in einen braunen Wollman- tel gehüllt und klammerte sich an seinen Regenschirm, den er über den Kopf hielt. Und auch der tief in die Stirn gezo- gene Biberhut konnte von seinem unglücklichen Gesichtsaus- druck nicht ablenken. Dann nieste er in sein Taschentuch.
„Gesundheit.“ Mr. Dalloway, der in der Nähe stand, lä- chelte ihn boshaft an.
„Danke“, erwiderte Charles kurz und wandte sich demons- trativ von dem ungepflegten Immobilienhändler ab.
Dalloway war der Schurke im Stück, fest entschlossen, Seine Lordschaft um dreitausend Pfund zu erleichtern, und das für das zweifelhafte Privileg, diesen gottverlassenen Ort zu besitzen. Charles hatte vor, seinem Klienten so drin- gend wie möglich von dem Kauf abzuraten, schon aus dem Grund, weil er derjenige wäre, der den verrückten Kauf der alten Lady Ironsides erklären müsste. Nach einem weiteren verstohlenen Blick auf seine Uhr schürzte er die Lippen. Zu spät.
Fürwahr, sein ruhiges Leben als Familienanwalt der Strath- mores hatte sich dramatisch verändert, seit Seine Lordschaft von seinen Abenteuern auf den sieben Weltmeeren und wo sonst noch zurückgekommen war.
Obwohl er gerade erst dreißig Jahre alt war, hatte Seine Lordschaft alles das erlebt, von dem Charles lieber aus der Sicherheit seines Lehnstuhls heraus las. Ihre Ladyschaft hat- te den Anwalt oft mit
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