Gaelen Foley - Knight 06
der bei meiner Mutter die Wehen einsetzten, wurde die französische Flotte in der Bucht von Aboukir gesichtet. Sie lagen vor Anker, das Heck unseren Kanonen zugewandt und damit wehrlos – oh- ne Fluchtweg. Nach wochenlanger Suche trafen wir durch rei- nen Zufall auf den Feind, als hätte man eine Nadel im Heuhau- fen gefunden. Mein Vater erklärte Admiral Lord Nelson, dass es der Glücksstern meiner Geburt gewesen sein musste, der ihnen dieses Aufeinandertreffen beschert hatte. Denn meine Ankunft in dieser Welt war das einzige Ereignis, das diesen Tag von al- len anderen unterschied, die sie mit der Suche verbracht hat- ten. Und das ist wahr“, fügte sie stolz hinzu, „denn die Schlacht am Nil war außer der von Trafalgar unser glorreichster Sieg. Er brach die Macht der französischen Seestreitkräfte und gab dem Krieg eine Wendung.“
Das Mädchen erstaunte ihn. „Zum Glück hattest du die Weit- sicht, an diesem Tag geboren zu werden“, sagte er.
„Ja, ich weiß. Sonst würden wir jetzt alle Französisch spre- chen.“ Sie lächelte und trank einen Schluck Champagner.
Alec war so verzaubert, dass er sie am liebsten sofort in den Arm genommen und besinnungslos geküsst hätte, daher dauerte es einen Moment, bis er die Fassung wiedergewonnen hatte.
„Was aber machte deine Mutter an Bord eines Kriegsschif- fes?“, wollte er wissen. „Bestimmt gibt es doch bei der Marine Vorschriften gegen eine Mitnahme von Frauen.“
„Nun, mein lieber Lord Alec“, sagte sie. „Ich bin sicher, Sie sind in dieser Hinsicht ganz unschuldig, aber es gibt Vorschrif- ten und –Vorschriften. Offiziell waren wir niemals dort. Genau-
so wenig wie die vielen anderen Frauen, die an Bord bei ihren Ehemännern lebten. Später wurde das jedoch zu einem Prob- lem, wissen Sie. Meine Mutter war sehr schön, und der kom- mandierende Offizier fand Gefallen an ihr. Sie wollte meinem Vater nichts von den Annäherungsversuchen seines Vorgesetz- ten erzählen. Sie wollte nicht, dass er etwas Unüberlegtes tat und unser Auskommen gefährdete, indem er seiner Karriere schadete – oder den Mann sogar zum Duell forderte, was er be- stimmt gemacht hätte. Mein Vater war sehr beherzt“, erläuterte sie. „Stattdessen erfand meine Mutter eine Ausrede, dass meine Erziehung durch ein unkonventionelles Leben an Bord leiden würde. Danach zogen sie und ich nach Portsmouth und wurden Landratten.“
„Landratten“, wiederholte er amüsiert.
„Ja. Das Meer habe ich leider schon seit Jahren nicht mehr gesehen“, fügte sie nachdenklich hinzu und blickte ins Leere. „Manchmal träume ich nachts davon – Meilen um Meilen nichts als Wellen.“ Sie hielt inne. „Meine Mutter starb in dem Sommer, als ich vierzehn Jahre alt war. Sie wurde krank, weil sie sich um eine arme Familie gekümmert hatte.“
Alec legte eine Hand auf die ihre, um sie zu trösten. „Das tut mir leid.“
„Ist schon gut. Solange ich sie hatte, war sie wunderbar zu mir. Das waren beide Elternteile.“
„Was ist das?“ Er beugte sich näher zu ihr, um die kleine rosa Muschel zu umfassen, die sie an einem Band um den Hals trug.
Ihr plötzliches Lächeln betörte ihn. „Gefällt Ihnen meine kleine Muschel?“ Man hätte glauben können, es handelte sich um einen Diamanten, so viel Stolz lag in ihrer Stimme.
„Sehr hübsch. Hast du ihn einer Meerjungfrau gestohlen?“
„Mein Vater gab sie mir, als ich ihn das letzte Mal sah.“ Ihre Stimme klang traurig. „Meine Mutter und ich verabschiedeten uns vor seiner letzten Reise in Portsmouth von ihm. Er sagte, ich könnte die Muschel ans Ohr halten und dann jedes Mal hören, wie er mir zuflüstert: ,Ich habe dich lieb.’„
Alec sah ihr in die Augen.
Die Muschel noch zwischen seinen Fingern, fühlte er sich von einer Woge männlichen Beschützerinstinkts erfasst, dass er kaum wusste, was er tun sollte.
Die Eltern waren tot. Kein Wunder, dass sie auf der Straße
endete. „Komm her, Kleines“, flüsterte er, ließ den Anhänger los und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Komm“, sagte er sanft, nahm ihre Hand und zog sie zu sich.
Unsicher sah sie ihn an, während er seine Arme um sie schlang und sie sich auf seinen Schoß setzte. „Alles wird wieder gut.“ Er drückte ihren Kopf an seine Schulter und streichelte ihr Haar. „Warum bleibst du nicht eine Weile bei mir?“, flüsterte er. „Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendetwas geschieht.“
„Alec.“ Als sie seinen Namen flüsterte, zitterte ihre
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