Gaelen Foley - Knight 06
nichts anderes übrig.“
Die Kutsche verlangsamte ihre Fahrt, um anzuhalten. Alec sprang zuerst hinaus und half dann Becky.
„Wo sind wir?“, fragte sie, als sie in der gleißenden Mittags- sonne zu dem hohen Gebäude am Rande von Green Park hi- naufblinzelte.
„Knight House.“ Der Kutscher hatte sein Gefährt wieder in Bewegung gesetzt und fuhr in Richtung St. James’s Street. „Das Haus gehört meinem ältesten Bruder Robert. Er ist der Duke of Hawkscliffe. Es ist niemand zu Hause“, fügte er hin- zu, als er den beunruhigten Ausdruck in ihren violetten Augen bemerkte. Schließlich hatte er ihr versprochen, keine weitere Person in ihr Abenteuer hineinzuziehen. „Der gesamte Clan ist nach Hawkscliffe Hall aufgebrochen, um dort den Sommer zu verbringen. Am Ende des Monats wird ein freudiges Ereignis erwartet, das zweite Kind Ihrer Gnaden. Die anderen Frauen wollen dabei alle anwesend sein und helfen, wenn das Baby kommt. Aus diesem Grund sind meine Schwester Jacinda und ihre Freundin Lizzie zusammen mit Rackford und Strathmore zum Schloss gefahren. Dämon und Luzifer sind mit ihren Frau- en ebenfalls dort.“
Sie runzelte die Stirn. „Dämon und Luzifer?“
„Verzeihung – genauer gesagt Damien und Lucien, die Zwil- linge.“
„Es ist aber nicht sehr nett, wenn du deine Brüder so nennst, oder?“
Er lächelte. „Wahrscheinlich nicht, aber es passt zu ihnen.“
„Warum bist du nicht bei ihnen?“, fragte sie und musterte ihn prüfend.
„Das ist – nun ja – etwas kompliziert.“
Sie hob eine Braue.
„Sagen wir, sie sind mir gegenüber ein wenig verstimmt.“
„Oh“, meinte sie und bremste widerstrebend ihre weibliche Neugier, worüber er sehr erleichtert war.
Während er sie zum Vordereingang von Knight House führte, dachte Alec voller Zuneigung an seine Familie, die sich für den Sommer auf dem alten Stammsitz versammelt hatte. Er ver- misste sie. Vor allem hoffte er, dass es Bel gut ging. In vielerlei Hinsicht war die schöne junge Duchess zum Mittelpunkt der Familie geworden, seit Robert sie vor einigen Jahren geheiratet hatte.
Becky gegenüber erwähnte er das nicht, aber die Ärzte hatten ihrer Sorge Ausdruck verliehen, was Bels zweite Schwanger- schaft betraf. Den Grund dafür kannte er nicht. Er wusste nur, dass er sie in dieser Zeit auf keinen Fall beunruhigen durfte. Wenn er an Robert schreiben und wegen Beckys Lage um Rat bitten würde, dann würde Bel sofort bemerken, dass etwas ihren Mann beschäftigte. Zweifellos würde es ihr gelingen, Robert die ganze furchtbare Geschichte zu entlocken, und das durfte auf keinen Fall geschehen. Nichts durfte sie aufregen und ihre Ge- sundheit gefährden oder die des Babys. Aber Alec hegte nicht die geringste Absicht, Roberts Aufmerksamkeit von seiner Ge- mahlin abzulenken.
Er könnte Kontakt zu den Zwillingen aufnehmen – zumin- dest zu dem umgänglicheren Lucien. Damien war noch immer verstimmt, weil er vor ein paar Monaten dessen vermögender Braut Miranda ein Darlehen abgeluchst hatte. Alec wusste, er hätte das nicht tun sollen, aber schließlich hatte er sich in ei- ner verzweifelten Lage befunden, und seit die schwarzhaarige Schönheit in die Familie eingeheiratet hatte, waren sie beide gute Kameraden geworden. Aber abgesehen von dem Verspre- chen an Becky, niemanden mehr in die Geschichte hineinzuzie- hen, war es der Gedanke an seine kleinen Neffen und Nichten, der Alec daran hinderte, seine Brüder in diese Geschichte ein- zuweihen.
Es wäre ein Fehler, sie anzusprechen und dadurch das Le- ben ihrer Kinder in Gefahr zu bringen. Nein, dachte Alec, die heldenhaften Zwillinge haben bereits im Krieg ihren Anteil an schwierigen Situationen erlebt. In einer lebensbedrohlichen Lage würde er seine familiäre Kavallerie verständigen, aber
keinen Moment früher. Dies hier musste er allein schaffen. Der kleine Bruder war auf sich selbst angewiesen.
Plötzlich fiel ihm auf, dass Becky in ihrer Pelerine zu ver- schwinden schien. Sie blieb zurück und blickte etwas einge- schüchtert zu den hohen Säulen, dem mächtigen Portikus und der schneeweißen Fassade hinauf. „Stimmt etwas nicht?“
„Es ist ziemlich vornehm, oder?“, murmelte sie.
„Dieser Eindruck soll auch erweckt werden“, erwiderte er. Als er sie ansah, erkannte er, dass sein kühnes Landmädchen sich fehl am Platz fühlte. Er warf einen Blick auf den repräsen- tativen Familiensitz und musste nicht lange überlegen, was der Grund dafür war.
Die Stadtresidenz
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