Gaelen Foley - Knight 07
Schwierigkeiten konnte ihr schon ein kleiner Junge bereiten? –, daher konnte sie nicht widerste- hen und trat leise auf die Kante der unteren Kiste, um über den Rand hinweg auf ihren winzigen Verfolger zu blicken.
Sie lächelte, als sie einen barfüßigen Jungen entdeckte, der wie eine Katze in dem vollen Frachtraum umherschlich und hinter Zuckersäcke und Pulverfässer spähte, als spiele er Ver- stecken.
Der kleine Junge war einfach hinreißend, wie er da nach je- mandem in seiner Augenhöhe suchte, während sie ihn von oben beobachtete.
Er besaß einen wilden Schopf dichten blonden Haars, das dringend einen Schnitt brauchte, und trug eine enge, kurze
Jacke wie ein kleiner Offizier, dazu eine weite Hose, die ihm bis zu den Knöcheln reichte.
„Bist du weggelaufen? Wir haben dauernd blinde Passagiere, die weggelaufen sind, aber ich bin keiner. Meine Tante Moyna- han hat mich auf Lord Jacks Schiff geschickt, damit ich etwas lerne. Du kannst vielleicht auch ein Lehrling werden. Wenn du willst, kann ich für dich den Captain fragen. Captain Jack hört auf mich“, fügte er mit einiger Wichtigkeit hinzu. „Wenn du schlau bist, kommst du jetzt heraus und nimmst meine Hilfe an, denn Mr. Brody und ein paar andere sind unterwegs hierher. Sie wissen, dass du hier bist.“
Gütiger Himmel! Edens Herz drohte stillzustehen bei dieser Neuigkeit. Sie vergeudete keine Zeit damit, sich zu fragen, wer Mr. Brody war, sondern hängte sich bereits die Tasche mit den botanischen Musterexemplaren ihres Vaters um und glitt lautlos zur Tür.
Sie musste dort raus – und zwar gleich. Mit der Tasche über der Schulter schlich sie über die schmale Leiter auf das untere Waffendeck und wich in den schmalen Durchgang oben an der Treppe aus.
Als sie die Ecke erreichte, blickte sie nach links und nach rechts, ging vorsichtig weiter, hörte von vorn Lärm und wäre dann beinahe in die Messe getreten. Hunderte Hängematten hingen von der Decke herunter, inmitten des Durcheinanders, das entstand, wenn die Hälfte der Mannschaft zum Essen ver- sammelt war. Die meisten der Männer waren zu sehr damit be- schäftigt, ihr Essen zu genießen, um sie zu bemerken. Andere tranken Grog oder feuerten einen Kampf im Armdrücken an, der am anderen Ende des großen Raums stattfand. Eilig zog sie sich zurück in den dämmerigen Durchgang.
Dann hörte sie Stimmen aus der anderen Richtung, blickte zu- rück und hielt den Atem an. Fünf rau wirkende Matrosen stapf- ten den Gang entlang in Richtung auf das Orlopdeck. Sie drück- te sich weiter in den Schatten und vermutete, dass es Mr. Brody und seine Männer waren. Dann stieg sie durch einen Gang hi- nauf zum mittleren Waffendeck, wo sie lautlos weiterhuschte. Sie stemmte sich gegen die schaukelnde Bewegung des Schiffs, konnte dabei die Gerüche aus der Küche wahrnehmen und hör- te, wie die Männer einander durch die Luke Befehle zuriefen. Auf dieser Ebene waren die Flanken der Winds of Fortune eben- falls mit langen Reihen von Kanonen bestückt, aber hier waren
die hölzernen Kanonenluken offen, was einen herrlichen Durch- zug verursachte.
Ein Stück weit weg fiel goldener Sonnenschein durch ein Git- ter über der Luke. Eden blieb stehen, um es einen Moment lang zu betrachten. Angelockt, wie hypnotisiert, bewegte sie sich langsam darauf zu und blinzelte gegen das Licht.
Einen kurzen Moment lang so allein im Gang gestattete sie sich zu genießen und trat direkt hinein in den dünnen Sonnen- strahl. Sie legte den Kopf zurück und badete in der belebenden Wärme. Ganz kurz schloss sie die Augen, ließ sich von der Sonne das Gesicht streicheln, bis sie plötzlich spürte, dass jemand sie beobachtete.
Sie hatte niemanden gehört, aber als sie die Augen öffnete und den dunklen Gang hinunterblickte, sah sie ihn – eine riesige Sil- houette.
Er war gerade die Leiter heruntergestiegen, stand nun reglos da und starrte sie an. Das Licht von oben fiel auf seinen Kopf und die breiten Schultern, erleuchtete seine große, muskulöse Gestalt.
Er wirkte drohend und von dunkler Schönheit, aber er sagte kein Wort, als sich ihre Blicke begegneten.
Jack.
Wie die Beute im Bann eines Raubtiers war sie für den Mo- ment wie betäubt von dem Glanz seiner aquamarinfarbenen Augen im Halbdunkel; sein Blick ruhte auf ihr genau wie in ih- rer Vorstellung von der Begegnung im Ballsaal.
Dann fiel ihr ein, dass sie sich unbefugt auf seinem Besitz be- fand, dieses Schiff war seine schwimmende Festung, und er war der
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