Gaelen Foley - Knight 07
verraten dürfen, selbst wenn er dabei un- höflich wirkte.
Tatsächlich war sie nun, da er ihr gesagt hatte, wie gefähr- lich sein eigentliches Unternehmen war, besorgt, was wohl aus ihm werden würde, wenn sie England erst erreicht hatten. Die meisten europäischen Länder besaßen Botschaften in London, darunter auch Spanien. Sie begriff, dass man ihn beobachten würde. Sie alle würden ihn beobachten.
In diesem Moment fiel es ihr schwer zu entscheiden, wer fana- tischer war – ihr Vater oder Jack. Papa, der sich auf die lebens- bedrohliche Reise ins Amazonasgebiet begeben wollte, um Me- dizin zum Nutzen der Menschheit zu finden, oder Lord Jack, der alles riskierte, um eine Sache zu unterstützen, an die er glaubte, die Befreiung einer ganzen Nation.
Bei dem Gedanken an ihren Vater hoffte sie, dass auch er sich
inzwischen auf See befand. Sie musste einfach glauben, dass er – nachdem er ihr Verschwinden entdeckt hatte – seine verrückte Idee aufgeben und ihr folgen würde. Schuldgefühle plagten sie zusammen mit kindlicher Angst, als sie sich vorstellte, wie zor- nig er bei ihrer nächsten Begegnung sein würde.
Sie musste in London einen neuen Mäzen finden, sonst würde er vielleicht nie wieder mit ihr sprechen, nachdem er sich erst einmal davon überzeugt hatte, dass sie in Sicherheit war.
Wichtig war, dass er überlebte – nicht, dass er ihr jemals da- für danken würde. Was Connor betraf – nun, sie war froh fest- zustellen, dass der große Australier nicht mehr ihr Problem war. Bestimmt hatte er inzwischen ihre Andeutungen begriffen.
Sie ging zu dem Waschtisch aus Mahagoni in der Ecke, be- trachtete ihr Spiegelbild und runzelte die Stirn, so knochig sah sie aus. Dann – warum auch nicht? – zog sie in plötzlicher Neu- gier die Schublade des Waschtischs auf.
Darin lag eine schmale Zigarilloschachtel zusammen mit ei- nem Sortiment verschiedener Pflegeartikel: ein Kamm, eine Zahnbürste, ein Rasierer mit einem Streichriemen und eine kleinen Schere für die Nägel. Ganz hinten fand sie eine kleine Flasche mit Kölnisch Wasser, nahm sie heraus und schnupper- te daran. Sehr hübsch, dachte sie lächelnd. Dann legte sie das Fläschchen zurück und schloss die Lade.
Also gut, wieder Langeweile? Was jetzt? Sie warf einen Blick über die Schulter zurück auf die Seekiste vor dem Schott, dann warf sie einen misstrauischen Blick zur Tür.
Der Kapitän hatte ihr nicht verboten, sich umzusehen, wis- senschaftliche Neugier trieb sie hinüber zu der großen lederbe- spannten Truhe.
Lautlos kniete sie davor nieder, und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass das Messingschloss offen stand. Sie hob den Deckel hoch und spähte hinein. Auf den ersten Blick nichts Auf- regendes.
Ganz oben lag ein zusätzlicher Überrock aus schwarzer Wol- le, wie man ihn in den Tropen nicht brauchte. Darunter ent- deckte sie ein Paar Pistolen, die in Halftern steckten, und ein großes Messer in einer reich verzierten Scheide. All das lag auf einem ungeordneten Stapel von Papieren und Büchern, von de- nen eins den Titel Reisen im Orinocodelta trug, geschrieben von einem gewissen Dr. Victor Farraday. Mit einem überraschten, aber liebevollen Lächeln nahm Eden das Buch ihres Vaters aus
der Truhe, unsinnigerweise erfreut, weil Lord Jack es gelesen hatte.
Es nur in der Hand zu halten, genügte schon, um ihr das Ge- fühl zu geben, ihrem Vater nahe zu sein. Tatsächlich waren sie noch nie so lange voneinander getrennt gewesen wie in diesen vierzehn Tagen. Liebevoll blätterte sie die Seiten durch. Als sie hier und da einen Abschnitt las, war ihr beinahe, als hörte sie ihren Vater zu ihr sprechen.
„So will es die Natur, Liebes. Jedes Lebewesen nimmt sich ei- nen Gefährten, wenn die Zeit dafür gekommen ist ...“
Mit einem raschen Kopf schütteln legte sie das berühmte Werk ihres Vaters beiseite und suchte weiter in der Truhe nach dem, was sie vielleicht sonst noch finden könnte. Ein schwerer Gegen- stand unter ein paar Briefen erwies sich als silberner Siegespo- kal, der auf einem polierten Stein aus weißem Marmor befestigt war. Wie seltsam! Mühsam drehte sie ihn herum, um die Auf- schrift lesen zu können.
„Sam O'Shay, ,The Killarney Crusher'. Sieger im Faustkampf beim Epsom Downs Turnier. 10. Mai 1792. Größe: 1,95 m. Ge- wicht: 95 kg.“
Himmel, der Mann war ein Riese gewesen. Obwohl – wenn sie genauer darüber nachdachte, dann war der Kapitän selbst etwa von derselben Größe.
Natürlich war Jack
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