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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zwar Schiller und Dante zitieren, aber Kenntnisse über sein Seelenleben besaß er offensichtlich keine.
    »Auch Sport kann zur Sucht werden«, erklärte ich. »Physische Hochleistungen erzeugen ein Überlebenskampfklima im Hirn, das das Schmerzempfinden ausschaltet und ein Hochgefühl auslöst. Die Hypophyse produziert Endorphin, körpereigenes Morphium. Man ist high.«
    Was auch immer in seinem Hirn vorging, es ging nicht schnell. Der Schwabe an sich neigte zur Gründlichkeit, vor allem wenn er emotionale Dinge bewegen musste.
    »Frau Nerz«, sagte er endlich, »ich möchte etwas klarstellen.«
    »Das geht schief«, seufzte ich.
    »Hören Sie, es stört mich nicht, dass Sie mich für korrupt und dumm halten, aber …«
    »Da stehen Sie drüber, ich weiß! Aber was stört Sie dann an mir?«
    Er deutete ein väterliches Lächeln an. »Sie haben eine durchaus amüsante und erfrischende Art. Aber mir scheint, Sie wissen noch nicht so recht, was Sie eigentlich wollen und wer Sie sind. Und dabei kann ich Ihnen nun leider gar nicht helfen. Ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten, aber falls Sie eine Art Vaterersatz suchen, so bin ich der völlig falsche Mann.«
    »Vielen Dank, dass Sie es unterlassen haben, auf meine Verunstaltung anzuspielen.«
    Er blinzelte etwas bestürzt. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht kränken. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie sich falsche Hoffnungen machen.«
    »Ach, Sie wissen noch, was Hoffnungen sind?«
    Leichter Unwille flackerte zwischen Webers Brauen em por. Er stippte seine Zigarette im Aschenbecher aus, sammelte sein Feuerzeug und die Zigarettenschachtel ein, verstaute sie in den Taschen seines Sakkos und blickte mich dann wieder an. »Übrigens, was Sie offenbar nicht wissen: Horst Bleibtreu hat Sie belastet.«
    »Wie denn, wenn er im Koma liegt?«
    »Nein, vorher. In Sachen Schillers Tod.«
    »Inwiefern?«
    Weber schwieg. Wahrscheinlich übten Staatsanwälte in psychologischen Nachschulungen dieses strenge, sich ausbreitende und von Sekunde zu Sekunde gewichtiger werdende Schweigen ein, stundenlang, tagelang. Ich war ihm dankbar, dass er sich auf Sekunden beschränkte. »Das«, sagte er mit einem Hauch von Triumph im Kehlkopf, »kann und darf ich mit Ihnen nicht erörtern.«
    Warum fing er dann überhaupt davon an? Mir schien, auch Weber wusste nicht so genau, was er eigentlich wollte.
    »Vermutlich hat er gesagt, er habe mich gesehen«, sagte ich. »Und das stimmt sogar! Ich war tatsächlich kurz vor Schillers Tod in der Abteilung der Langhanteln. Schiller schraubte gerade die Drückbank zusammen. Aber wenn Horst mich da hat reingehen sehen, dann stimmt auch sein Alibi mit dem Vergesslichen bei den Schließfächern nicht.«
    »Horst suchte Schiller wegen des Hauptschlüssels für die Schließfächer. Dann fiel ihm aber ein, dass Schiller verboten hatte, den Kunden die Schließfächer aufzuschließen, weil einmal einer auf diese Weise ein falsches Fach für sich reklamiert und ausgeräumt hat, und zog unverrichteter Dinge wie der ab.«
    Ich sah Schiller wieder vor mir, mit seinem Feldherren blick auf der Treppe und in der Hosentasche mit dem Schlüs sel klimpernd. »Hat man eigentlich den Schlüssel bei der Leiche gefunden?«
    Webers Blick wurde asymmetrisch. »Nein. Soviel ich weiß, nicht. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Frau Nerz. Sie waren offenbar die Letzte, die Schiller lebend gesehen hat.«
    »Aber nicht die Erste, die ihn tot gesehen hat«, erwiderte ich. »Sie glauben doch nicht, ich hätte Sie gestern Abend nur deshalb im Amt aufgesucht, um herauszufinden, ob Horst mich gesehen und beschuldigt hat. Und hernach habe ich ihn dann zum Funkhaus bestellt und ihn gebeten, dass er Sally das Kinn zertritt, damit ich ihn zum Krüppel schlagen kann.«
    Weber deutete mit keiner Miene an, dass er meine Konstruktion für absurd hielt.
    Ich musste lachen. »Sie haben ja wirklich Angst, dass ich es gewesen sein könnte! Kommen Sie, geben Sie Ihrem Her zen einen Stoß, Herr Oberstaatsanwalt. Ich gehöre nicht zu den Bösen, sondern zu den Guten.«
    Er richtete seine mit so viel Aufwand gepflegte Figur eines Leichtgewichtringers auf. »Schön für Sie. Wenn Sie mich dennoch jetzt entschuldigen würden. Ich habe keine Zeit mehr für Ihre Purzelbäume. Ich muss ins Amt. Schönen Tag noch.«
    Zurück blieb der kultivierte Duft von Zeder und Zibet.

15
     
    Ich schlief bis drei, dann trank ich einen halben Liter Kaffee und fuhr mit der Straßenbahn in die Redaktion.
    »Und wo

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