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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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gewaschene Kinderwagenbrodem und löste unangemessenes Grauen in mir aus. Unterm Telefontischchen in der Diele zerpflückte ein zweijähriges Mädchen eine leere Schachtel Cornflakes. In der Küche quak te eine Tomatensoße auf dem Herd. Die Kacheln waren rot gesprenkelt. Aus dem Spaghettitopf quoll der Stärkeschaum und brannte sich am Plattensaum unter den Topf. Der Junge mach te sich über das Mädchen her, das, der Schachtel beraubt, loskreischte. Vicky schrie: »Martin, lass Bellinda in Ruhe. Hört endlich auf, oder es gibt keinen Nachtisch!«
    Ich war wirklich im richtigen Moment gekommen. Die Blagen waren voll daneben, und Vicky war offensichtlich bereits ziemlich zu. Im Wohnzimmer, dessen gesamtes Mobiliar sich auf einen riesigen Fernseher konzentrierte, hatte ich auf dem Tisch eine Flasche Brandy und ein Glas stehen sehen.
    »Ich habe deinen Mann vor der Tür getroffen«, sagte ich.
    Vicky verbrannte sich die Finger beim Härtetest der Spaghetti, fluchte und goss die Pampe ab. Martin forderte Milchschnitten und protestierte gegen die Tomatensoße, mit der Vicky die Nudeln ertränkte. Als der Junge anfing, die blutigen Würmchen über den Küchentisch zu schnipsen, ließ Vicky Topf, Sieb und Löffel in die Spüle knallen und stürzte aus der Küche. Bellinda klaubte die Nudeln vom Küchenboden und klebte sie gegen die Tischbeine.
    Ich fand Vicky heulend auf dem Sofa. »Tut mir leid, manchmal weiß ich einfach nicht mehr, was ich tun soll.«
    »Dann sind wir schon zwei«, sagte ich und räumte Glas und Flasche außer Reichweite.
    »Hans ist auch überhaupt keine Hilfe. Wenn die Kinder sich streiten, brüllt er herum. Dann tut es ihm wieder leid und er kauft ihnen Eis. Sonst sitzt er nur vor dem Fernseher und tut sich selber leid. Oder er will ins Bett. Versager wollen nämlich immer.«
    Sie hielt nach der Flasche Ausschau.
    »Aber ich kann doch nicht auch immer nur im Haus sitzen. Das halte ich gar nicht aus. Er redet doch nichts. Und wenn, dann streiten wir nur. Er will nicht, dass ich in den Schlachthof gehe. Ich könnte ja mal einen andern Mann kennen lernen. Aber mir tut das eben gut. Ich habe schon fünfzehn Kilo runter. Hans sagt, dass ich mich vor dem Bett fürchte. Aber ich finde, da muss sich immer alles beweisen, die ganze Ehe und Liebe. Und was ist denn schon noch davon übrig. Ich habe viel zu lange nicht gewusst, wie gut das ist, wenn man hinsteht, einfach nur hinsteht, und nichts kann einen umwerfen. Als ich noch so fett war, habe ich mich immer gefühlt wie ein Blättchen im Wind.
    Ein Mann schaut dich schief an, und du verkriechst dich. Aber jetzt schauen sie mir schon mal hinterher, und ich fühle mich wie ein Fels. Mir kann keiner was, auch der Hans nicht, dieser Versager.«
    »Ich hoffe«, sagte ich, »du hast nicht versucht, das deinem Mann zu erklären.«
    »Soll ich mich lieber gleich umbringen, oder wie?« Vicky bekam diesen Kullertränenblick, den ich von meiner Mutter kannte, wenn ihr Lebensunglück zur Frauenfrage wurde.
    »Dein Mann wollte sich auch schon eine Kugel in den Kopf schießen«, sagte ich.
    »Dazu ist er doch viel zu feige. Außerdem ist er an allem selber schuld. Mein Gott, ich sitze zwei Jahre allein mit den Kindern da, der Mann im Gefängnis. Und jetzt kriegt er natürlich keinen Job mehr. Fängele denkt ja gar nicht daran, sein Versprechen zu halten.«
    »Wie bitte? Was hat Fängele damit zu tun? Oh Gott!« Plötzlich war es mir klar: Hans Stenzel, der Buchprüfer, der Olympics Bilanzen falsch testierte, der sein Geständnis widerrief und behauptete, Weber habe es von ihm durch Drohungen erpresst. Der war Vickys Mann. »Was hat Fängele euch denn versprochen?«, fragte ich.
    »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, er hat gar nichts versprochen. Hans hat ganz umsonst die Schuld auf sich genommen und gesagt, Fängele habe von dem ganzen Betrug nichts gewusst. Aber wer glaubt einem Versager so was, frag ich mich. Der Hans hat doch immer nur gemacht, was Fängele gesagt hat. Selber einen Betrug anzetteln, dazu ist er gar nicht intelligent genug. Wahrscheinlich haben sie ihn auch im Gefängnis verklopft, damit er Fängele nicht in die Pfanne haut. Und jetzt behauptet er einfach, Fängele schulde ihm was, aber der schuldet ihm natürlich gar nichts.«
    »Und trotzdem gehst du in den Schlachthof? Da muss dein Mann doch hohldrehen.«
    Vickys verwischte Lippen fanden zu einem kleinen schlau en Lächeln. »Na, irgendwie muss Fängele doch blechen, finde ich. Und da kommt er

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