Gaisburger Schlachthof
Kämpfer sich dabei in absoluter Harmonie bewegten. Dann ein Zucken, ein Zusammenprall von Fleischmassen, Wellen auf dem Hinterfett, ein Hebel, und der Kleinere kippte in die Zuschauer.
In Japan galten die Kolosse als erotische Bomben. Der Moderator legte sein Kopfschütteln in die Stimme. Seit jeher assoziierte man Stärke mit Größe und Wuchtigkeit. Leider starben die Kämpfer im Alter von 39 Jahren an Herzverfettung. In Europa gab es überhaupt keine Sumo-Ringer, die fett genug waren, um von einem Japaner nicht gleich vom Dojo gepustet zu werden.
Ich dachte an Richard Weber und seinen zwar kompakten, aber gut trainierten Körper, an dem kaum ein paar Kilo Fett zu vermuten waren. Er hatte mich heute gerettet, als es nicht nötig war, und dann seinen Auftritt verpasst. Armer Kerl! Aber ich hatte es alleine geschafft! Das Unmögliche.
Mein Puls taumelte in die Höhen der Euphorie. Ich knöpfte mir den Hosenstall auf und legte Hand an mich. Die Katzen glotzten. Doch dann schlief ich darüber ein.
22
Sally fragte sich mit großen Augen, warum ich zwei Seidenblusen übereinander trug, konnte oder wollte aber ihren Notizblock für die Frage nicht strapazieren.
»Ich habe es im Solarium übertrieben«, erklärte ich ungefragt. Mir zwiebelte die Haut auf dem Rücken. »Mit Senta war ich gestern zwei Stunden im Wald. Den Katzen geht es gut. Ich habe dir was zu lesen mitgebracht gegen die Langeweile.«
Ich legte ihr das alte Taschenbuch Geschlechtertausch auf die Bettdecke. Drei Geschichten über die Umwandlung der Verhältnisse.
Sally las prinzipiell keine Bücher, denn sie konnte nicht mehr aufhören, wenn sie einmal angefangen hatte, und das kostete sie dann schnell die ganze Nacht. Deshalb bevorzugte sie Zeitschriften. Vor allem die psychologischen Tests. Sie besaß einen sechsten Sinn für die Antworten mit der höchsten Punktzahl. »Sie sind ein rundum glücklicher Mensch, haben beruflich und privat Erfolg und konnten sich dabei auch das Verständnis für Ihre Mitmenschen bewahren.«
Aus Büchern ließ sie sich nur von mir vorlesen. Die beiden Mädchen in den Betten litten ebenfalls dermaßen unter Langeweile, dass sie gegen das ungewohnte Abenteuer von Luchterhändischer Literatur nichts einzuwenden hatten. Ich setzte mich in die Mitte, schlug den »Selbstversuch« von Christa Wolf auf und ließ die fiktive DDR-Wissenschaftlerin mithilfe des Mittels Petersein in einen männlichen Körper gleiten, was ihr oder ihm so lange das Leben vereinfachte, bis die weibli che Erinnerung im männlichen Körper sich über die biologische Paarungsbegierde bei völligem Mangel an Gefühlen entsetzte.
»Anders, wie fühlen Sie sich? – Gelassen, der Wahrheit gemäß gab ich Auskunft: Wie im Kino. – Da rutschte Ihnen, zum ersten Mal, seit ich Sie kenne, etwas heraus, was Sie nicht hatten sagen wollen: Sie auch?! – Die zwei Worte. Sie wurden bleich, und ich hatte mit einem Schlag begriffen: Im mer ist es ein Gebrechen, das man so sorgfältig versteckt. Ihre kunstvoll aufgebauten Regelsysteme, Ihre heillose Arbeitswut, all Ihre Manöver, sich zu entziehen …«
Als ich unter den Säulen hervor auf die Freitreppe des Krankenhauses trat, rückte eben die erste Besucherschwadron mit Blumen und Fresskörben an. Die Taxis standen gelangweilt am Straßenrand. In den Bäumen des Stadtgartens spielte der Frühling mit den Knospen. Ich tat meinen zwiebelnden Schultern unter der Seide die schwere Lederjacke nicht wieder an und durchquerte langsam den Park zur Telefonzelle.
Weber nahm sofort ab. »Lisa, wo stecken Sie? Könnten Sie bitte sofort kommen?«
»Wohin?«
»In die Staatsanwaltschaft.«
Diesmal ging ich zum Vordereingang hinein. Der Pförtner rief oben an, ob ich die erwartete Person sei, und malte dann von meinem Ausweis meine Daten auf ein Besucherkärtchen ab.
In Richard Webers Vorzimmer befanden sich wieder nur stumme Porzellankatzen und Grünpflanzen, die ich jetzt immerhin einer abwesenden Frau Kallweit zuordnen konnte. Vermutlich neigte sie freitags zur Spontanmigräne und ging früher. Ohnehin durfte man Behörden am Freitag schon um drei verlassen, oder kurz vor drei.
Die Tür zu Webers Büro stand offen. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, wies mir einen Platz auf einem der beiden Stühle zu und verschanzte sich dann wieder hinter seinem Sperrmüllmöbel. »Wo waren Sie gestern?«
»Und Sie?«
Weber zog die Brauen hoch.
»Es war niemand mehr da, als ich auf den Parkplatz kam«, erläuterte ich
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