Galeeren in der Ostsee
phantasieloser Mann. »Wird er denn genesen, Sir?« Herrick drehte sich brüsk zu ihm um und sagte mit sprühenden Augen: »Was sagen Sie da, Mann? Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren Dienst!«
Als die beiden Leutnants davoneilten, trat Major Clinton aus dem Halbdunkel hervor und sagte: »Nehmen Sie’s leicht, Sir. Er hat es nicht böse gemeint.«
Herrick nickte. »Sie haben wohl recht.« Dann ging er auf die Luvseite und begann, dort auf und ab zu marschieren.
Der alte Grubb schneuzte sich geräuschvoll und ging schwerfällig zum Major hinüber. »Mit allem Respekt: Lassen Sie ihn in Ruhe, Sir. Dies ist ein schwarzer Tag für den Käpt’n, seien Sie dessen sicher, und für viele andere auch.«
Clinton lächelte traurig und kletterte auf das Hüttendeck, wo einige seiner Leute am Nachmittag gefallen waren.
Er hatte viele erstaunliche Geschichten über das Gespann Bolitho und Herrick gehört. Daß sie offensichtlich auf Wahrheit beruhten, war noch erstaunlicher, dachte er.
Banges Warten
Kapitän Thomas Herrick saß mit aufgestützten Ellenbogen am Schreibtisch und blätterte mißmutig im Tagesbericht des Zahlmeisters. Die viele Arbeit und mancherlei Sorgen drückten auf Leib und Gemüt, und die unangenehmen Bewegungen der
Benbow
trugen nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Immer wieder sackte das Schiff jäh in ein Wellental ab, und jedesmal endete diese Bewegung mit einem anhaltenden Zittern, das durch alle Decks und Aufbauten lief.
Zusammen mit den anderen Linienschiffen lag die
Benbow
unter dem Schutz der Landspitze von Skagen vor Anker. Nach dem langsamen Marsch hierher von der Stelle, an der sie mit Ropars Geschwader gekämpft hatten, und nach einem Tag vor Anker waren sie immer noch bei den notwendigsten Ausbesserungsarbeiten: beim Auswechseln oder Flicken von Segeln, Spleißen von laufendem und Te eren von stehendem Gut und dergleichen mehr. Es war beinahe, als lägen sie sicher im Dock und nicht draußen in der unfreundlichen Nordsee.
Ein kurzes Klopfen riß Herrick aus seinen Gedanken. »Herein!« Loveys, der Schiffsarzt, schloß die Tür hinter sich und nahm auf einem angebotenen Stuhl Platz. Er war wie immer: totenbleich und doch unermüdlich.
Loveys sagte: »Sie sehen erschöpft aus, Käpt’n.«
Herrick wischte alle Angelegenheiten des Geschwaders und seines Schiffes beiseite wie welke Blätter. Obwohl er gezwungen gewesen war, seine täglichen Arbeiten ohne Erholungspause zu erledigen, hatte er seinen Freund in der Kajüte keinen Augenblick vergessen.
Männer waren zu befördern gewesen, um Lücken zu schließen, die ihre toten oder verwundeten Kameraden hinterlassen hatten. Midshipman Aggett war zum diensttuenden Leutnant anstelle des jungen Courtenay ernannt worden. Es war ein Wunder, daß Courtenay, dem der Unterkiefer weggeschossen worden war und der auch geistig verwirrt schien, überhaupt noch lebte. Die Wach- und Klarschiff-Rollen mußten neu aufgestellt und erfahrene Leute entsprechend verteilt werden. Der Zahlmeister hatte über die Rationen gejammert: Einige Fässer mit Salzfleisch waren durch eine verirrte Kanonenkugel vernichtet worden. Dann das harte Geschäft der Seebestattungen, und schließlich die vielen Anfragen der anderen Kommandanten, die beantwortet werden mußten. Alles hatte an seinen Kräften gezehrt.
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen.« Herrick bemühte sich, gelassen zu sprechen. »Wie geht’s ihm heute?«
Loveys schaute auf seine kräftigen Hände. »Die Wunde ist stark entzündet, Sir. Ich habe den Verband mehrmals gewechselt und versuche es nun mit einer trockenen Kräuterauflage.« Er schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich bin mir nicht ganz sicher, Käpt’n. Noch riecht es nicht nach Wundbrand, aber die Wunde selbst ist schlimm genug.«
Loveys Finger machten eine Scherenbewegung. »Die Kugel wurde beim Aufprall auf den Knopf abgeflacht, das ist normal. Aber der Knopf ist zersplittert, und ich fürchte, Teile davon stecken noch in der Wunde, möglicherweise auch Stoffetzen, die einen Fäulnisprozeß begünstigen.«
»Wie trägt er es?«
Über Loveys Gesicht huschte ein Lächeln. »Das wissen Sie wohl besser als ich.« Das Lächeln verschwand. »Er braucht sorgsame Pflege an Land. Jeder Stoß an seine Koje bereitet ihm Schmerz, jede Bewegung könnte den Wundbrand auslösen. Für die Nacht gebe ich ihm Schlafmittel, aber ich darf ihn nicht weiter schwächen.« Er sah Herrick in die Augen. »Ich kann wohl noch etwas warten, aber wenn es sich
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