Galgenberg: Thriller (German Edition)
kleines Mädchen, als man sie noch hätte lieben können, war sie schwer lieb zu haben. Und später, na ja, das mit später wissen Sie.«
»Haben Sie je wieder von Basson gehört? Oder ihn noch einmal gesehen?«
»Nein«, erwiderte die alte Frau. »Nie. Aber einer der jungen Männer, die vorbeikamen und uns von Suzannes Beerdigung berichteten, der erkundigte sich nach Lilith. Er sagte, sie hätte sich damals in ihrem Zimmer versteckt und nicht herauskommen wollen.«
»Woher kannte er sie?«, fragte Clare.
»Der gehörte mit zu Bassons Leuten, als Suzanne verhaftet werden sollte«, sagte Mrs le Roux. »Es war sein Fall.«
»Aber er hat damals nichts unternommen?«
»Nein, Dr. Hart. Keiner von uns hat etwas unternommen.«
»Ich möchte nicht mit diesem Wissen leben, Mrs le Roux«, sagte Clare und ließ sie an der Haustür stehen.
»Das war noch schlimmer, als ich befürchtet hatte«, befand Lilith und zog die Beifahrertür von Clares Mietwagen auf.
»Das tut mir so leid.« Clare legte die Hand auf Liliths Schulter und spürte ein Zittern. Hass und tiefe Trauer. Zwei Seiten der Medaille, die ihr das Leben zugeworfen hatte. »Trotzdem hat sich der Besuch gelohnt«, ergänzte sie.
»Und was hat er gebracht?«, wollte Lilith wissen. »Meine Erinnerungen bleiben trotzdem ein einziger Scherbenhaufen – Glasscherben, die sich bei jedem Hinsehen verschieben und neue Muster bilden. Ein Geräusch hier, ein Geruch dort, das Klirren von Eiswürfeln im Glas, diese Schallplatten, Hände, die mich ins Bett packen, ein weicher Schoß, eine Halskette, die sich scharf in meine Wange drückt. Mehr ist mir nicht von meiner Mutter geblieben als Scherben in einem Kaleidoskop. Immer wieder blicke ich wie durch einen langen Tunnel in die Vergangenheit, und jedes Mal, wenn ich etwas bewege, verschieben sich die Teile, sie leuchten und glänzen, aber nie ergeben sie ein Bild.«
»Es fehlen immer noch ein paar Stücke«, tröstete Clare sie. »Wenn wir alle gefunden haben, wird alles einen Sinn ergeben.«
»Dieser Stein.« Lilith öffnete die Hand. »Wenn ich ihn früher hielt, selbst wenn ich ihn jetzt halte, spüre ich eine Art Ziehen, so als wüsste meine Haut etwas, das auch ich wissen sollte. Das ich wissen müsste.«
»Das kommt schon noch.«
»Und wann?«, wollte Lilith wissen. »Mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, dass es da etwas Wichtiges gibt, das mir immerzu entgleitet.«
»Lass mich kurz telefonieren, bevor wir zurückfahren«, bat Clare. »Ich muss etwas nachprüfen.«
»Was denn?«, fragte Lilith und ließ den Stein über ihre Hand rollen.
»Dieses Carnarvon Trading«, sagte Clare. »Das lässt mir keine Ruhe.«
Sie fand die Nummer von Tony Gonzalez und ließ es lange läuten.
»Was ist das für ein Name?«, fragte Lilith.
»Er stand zusammen mit anderen Namen auf der Mauer des Lagerhauses.«
»Wo meine Mutter gefunden wurde?«
»Genau da. Hallo Tony?« Clare zeigte Lilith entschuldigend die Hand. Acht Stunden Zeitunterschied zwischen Südafrika und Sydney.
»Es ist schon spät«, sagte sie, als er sich meldete. »Bitte verzeihen Sie.«
»Nicht so schlimm«, erwiderte er. »Haben Sie noch mehr Fragen? Stehe ich noch unter Verdacht?«
Clare lachte leise. »Also …«
»Okay, worum geht es?«
»Ich dachte, vielleicht besteht ja die winzige Möglichkeit, dass Sie sich an ein, zwei Dinge erinnern, die Ihre Mieter am Gallows Hill betreffen …«
»Also, ganz ehrlich, seit Sie angerufen haben, haben meine Frau und ich über nichts anderes mehr geredet. Sie hat mich daran erinnert, dass es lauter neue Mieter waren.«
»Carnarvon Trading«, sagte Clare. »Hauptsächlich interessiere ich mich für die.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass die je auf der Baustelle gewesen wären. Warten Sie, ich frage sie mal, sie ist gerade nach Hause gekommen, eigentlich steht sie direkt neben mir.«
Clare hörte ihn reden und eine Frauenstimme antworten.
»Hallo?«
»Ich bin noch dran«, sagte Clare.
»Sie meinte, von denen sei keiner jemals auf die Baustelle gekommen«, erklärte Gonzalez. »Aber einem aus der Firma ist sie mal begegnet. Warten Sie, sie wird es Ihnen selbst erzählen.«
»Dr. Hart? Hier ist Lydia Gonzalez. Ja, eine wirklich schreckliche Geschichte. Sie wollen etwas über die Mieter wissen? Über Carnarvon Trading?«
»Können Sie sich an die erinnern?«
»Ich bin ihnen einmal begegnet«, bestätigte Mrs Gonzalez. »Weil einer von ihnen mal im Baustellenbüro war. Er wollte eine
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