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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Lächeln huschte über sein Gesicht, ohne seine Augen zu erreichen. »Deine eigenen Worte zur Verteidigung des Gesetzes hallen mir noch in den Ohren. Und sie decken sich mit meiner Anschauung. Das Gesetz muss für alle gelten, sonst dient es am Ende niemandem. Wenn wir anfangen, Strafe oder Belohnung nach unseren eigenen Vorlieben, Loyalitäten oder vielleicht sogar dem Grad unserer Empörung zu bemessen, wird die Rechtsprechung sofort ausgehöhlt.« Seine Augen bohrten sich in die von Rathbone. Aus ihnen sprach nichts als Offenheit. »Die Zeit wird kommen, zu der wir selbst abgelehnt oder missverstanden werden, zu der wir Fremde im eigenen Land sind und Richtern von einer anderen Rasse oder Religion gegenüberstehen. Was wird sein, wenn deren Auffassung von Gerechtigkeit von ihren Leidenschaften anstatt von ihrer Moral abhängt? Wer spricht dann für uns oder verteidigt unser Recht auf die Wahrheit?« Ballinger beugte sich vor. »Das ist mehr oder weniger das, was du hier, in diesem Raum, zu mir gesagt hast, Oliver, als wir uns über genau dieses Thema unterhielten. Nie habe ich das Ehrgefühl eines Mannes mehr bewundert, und ich bewundere es immer noch.«
    Darauf hatte Rathbone keine Antwort. Er war ohnehin aufgewühlt, und diese Eröffnung hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Er kam sich vor wie ein Läufer, dem jemand mitten im Rennen ein Bein gestellt hatte, sodass sein eigenes Tempo zu seinem größten Feind wurde. Ihm schoss in den Sinn, dass er fragen sollte, ob die Person, die Phillips’ Verteidigung bezahlt hatte, das nicht nur gewünscht hatte, sondern, schlimmer noch, darauf angewiesen war. War der Gönner einer von Phillips’ Kunden, der es sich nicht leisten konnte, dass man diesen Mann schuldig sprach? Wen versorgte Phillips mit seinen Diensten? Angesichts von Rathbones Gebühren musste das ein Mann mit wirklich beträchtlichen Mitteln sein. Unvermittelt befielen ihn Gewissensbisse. Es war ein stolzer Betrag, der sich in seinen Händen schmutzig anfühlte. Er konnte sich nichts davon kaufen, was ihm noch Freude bereiten würde.
    Ballinger wartete, beobachtete ihn und beurteilte seine Reaktionen.
    Rathbones Zorn wuchs, erst auf Ballinger, weil er es so gut verstand, ihn zu benutzen, und dann auf sich selbst, weil er sich benutzen ließ. Unvermittelt bemächtigte sich seiner ein neuer, schmerzhafter Verdacht, packte sein Herz mit eisigem Griff und ließ ihn erstarren. War der Unbekannte ein Freund von Ballinger? Jemand, den er vielleicht in seiner Jugend gekannt hatte, bevor ihn eine Wendung des Schicksals zu Hunger, Einsamkeit, Schande, Täuschung und schließlich Erpressung verdammt hatte? Konnte man je wirklich die Unschuld vergessen, die man in seiner Vergangenheit, den Zeiten größerer Hoffnung und natürlicher Freundlichkeit unter Jungen erfahren hatte, bevor sie Männer wurden, oder das, was sie damals für einen taten?
    War alles vielleicht noch viel schlimmer? Ballinger stünde unter doppeltem Druck, wenn der Geldgeber am Ende sein anderer Schwiegersohn wäre, der Mann von Margarets Schwester. Auszuschließen war das nicht. Männer jeden Alters und jedes gesellschaftlichen Ranges konnten Begierden unterliegen, die sie quälten und am Ende alle zugrunde richteten: das Opfer wie den Unterdrücker.
    Rathbones Gedanken wirbelten in schwindelerregendem Tempo weiter. Konnte es Mrs. Ballingers Bruder sein? Oder einer ihrer Schwäger? Es gab so viele Möglichkeiten, jede erschreckend und für sich ein schier unentwirrbares Geflecht von Verpflichtungen und Gefühlen, die Verantwortung, Mitleid, Treue und Dank umfassten und wo Worte es nicht ansatzweise vermochten, die Scham oder Verzweiflung zu lindern.
    Ohne jede Vorwarnung wich Rathbones Zorn tiefem Mitleid. Er suchte noch nach freundlichen Worten, als angeklopft wurde.
    Ballinger erhob sich und schritt zur Tür. Das Murmeln einer Männerstimme war zu hören, die in dem ehrerbietigen Ton eines Bediensteten sprach. Ballinger dankte und kehrte zu Rathbone zurück.
    »Es tut mir leid, aber ich habe unerwarteten Besuch bekommen. Ein Mandant, der dringend Hilfe benötigt und den ich nicht abweisen kann. Aber ich denke, ich habe dir meinen Standpunkt ohnehin deutlich genug erklärt, und wüsste nichts, was ich dem noch hinzufügen könnte. Bitte entschuldige mich.« Er baute sich vor Rathbone auf, als würde er ihn gleich persönlich hinausscheuchen. Die Geste sprach für sich.
    Und Rathbone erhob sich prompt. Er hatte keine Ahnung, wer dieser

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