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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das war noch nicht alles. Es wird davon geredet, dass die Metropolitan Police uns vollständig übernimmt. Wir sollen keinen eigenen Kommandanten haben, sondern einfach in die Polizeiwache des nächsten Viertels eingegliedert werden. Wir wären dann nicht mehr für den Fluss zuständig, sondern nur noch für unser Stück vom Ufer. Die Zeitungen sagen, dass wir korrupt sind, dass bei uns mit eisernem Besen gekehrt werden muss und die meisten von uns rausgeworfen gehören. Sogar im Parlament haben das welche gefordert! Als ob wir es nicht seit bald hundert Jahren beschützt hätten! Keine Dankbarkeit! Da läuft ein einziges Mal was schief, und schon fallen sie wie die Wölfe über uns her.« Einen Moment lang war die Kränkung in seinen Augen zu sehen, dann dämmerte ihm, dass er im Dienst Gefühle offenbart hatte, und er wandte verlegen den Blick ab.
    Der Zweifel schwappte in Monk hoch wie ein neuerlicher Brechreiz. Sie hatten die Wapping Stairs nun schon fast erreicht. In wenigen Minuten würden sie an Land gehen, und dann wäre es nicht mehr möglich, ohne Angst vor Lauschern miteinander zu sprechen. Binnen weniger Minuten würden sie den offenen Kai überqueren und die Wache betreten.
    Wollte er wirklich noch tiefer in Durbans Leben wühlen und seine Geheimnisse ans Licht bringen? Das konnte die Illusionen zerschlagen, die Orme so teuer waren. Wollte Monk für die Chance, Phillips hängen zu sehen, wirklich diesen Preis zahlen? Wie wertvoll sind Illusionen, der Glaube an das Gute in Menschen, obwohl es nur zum Teil wahr ist? Und welches Lebenswerk kann das gleißende Licht einer Untersuchung unbeschadet überstehen, wenn der Mensch, der es geleistet hat, tot ist und sich nicht mehr verteidigen oder erklären kann? Wessen Lebensgeschichte kann auf Fakten beruhen, wenn diese von anderen zerfleddert werden und er nicht mehr darauf hinweisen kann, welche Anstrengungen er unternommen und welche Hoffnungen er gehabt hatte, die ihn auszeichneten und doch trogen? Sollen jemals diejenigen ein Urteil sprechen dürfen, die ein eigenes Interesse an den Antworten haben?
    Vor acht Jahren, als seine Erinnerung ausgelöscht worden war, hatte Monk sich nur von außen betrachten können, und das, was da aus den Schatten ins grelle Licht eines verständnislosen Wissens hochgestiegen war, hatte ihm überhaupt nicht gefallen. Er kannte die Fallstricke, die Trugschlüsse, die gnadenlose Logik, die die ausschlaggebenden Tatsachen außer Acht ließen. Er wusste, wie leicht es war, nur das zu sehen, womit man rechnete, egal, ob es gut oder schlimm war.
    Orme wartete auf seine Entscheidung, von der alles abhing: weitermachen und kämpfen oder zurückweichen, bevor noch mehr veröffentlicht und ihr guter Ruf womöglich völlig in den Schmutz gezogen wurde.
    Sie hatten die Stufen erreicht. Die Fähre stieß gegen den Kai, Holz auf Stein. Die Bedenkzeit war abgelaufen. Monk bezahlte den Fährmann und kletterte nach Orme an Land.
    Er konnte niemanden bitten, diese Entscheidung für ihn zu treffen. Er war der Kommandant; er musste führen. Durban hätte das getan, davon war er felsenfest überzeugt. Sich drücken, sich blind stellen, war kein Ausweg. Was auch immer er entdeckte, würde zumindest einen Weg aufzeigen, wie es weitergehen konnte. Zurückhaltung war bisweilen eine Antwort, Feigheit nie. Was von beidem lag hier vor?
    Er folgte Orme über den Kai zur Polizeiwache. Als er eintrat, hatte er ihm immer noch keine Antwort gegeben. Den Rest des Vormittags brachten sie am Fluss mit den üblichen Aufgaben der Wasserpolizei zu: Diebstahl, Schmuggel und die gelegentlichen Gewaltdelikte. Zur Mittagszeit trat Monk den Rückweg nach Wapping an, in der Gewissheit, dass er mit etwas Glück den ganzen Nachmittag Zeit haben würde, um sich mit Durban zu befassen.
    Da Beschuldigungen erhoben worden waren, Durban hätte Phillips Jungen mit dem Vorsatz beschafft, ihn später aus dem Weg zu räumen und mit ihnen seinen eigenen Menschenhandel zu betreiben, war Monks Weg eigentlich schon vorgezeichnet: jeden Kontakt, den Durban mit Jungen gehabt hatte, zurückverfolgen, ebenso gnadenlos wie seine Gegner nach jenen Beweisen suchen, die seine Feinde benutzen würden, und sie – so gebe Gott – nicht finden. Dabei war er auf Scuffs Hilfe angewiesen.
    »Zum Südufer bitte«, bat er den Fährschiffer. »Rotherhithe.«
    »Dachte, Sie hätten Wapping gesagt«, bemerkte der Mann spitz.
    »Das habe ich auch. Hab’s mir aber anders überlegt. Princes Stairs. Und

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