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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ich bedauern, diese Frage gestellt zu haben?«
    »Ich glaube mich zu erinnern, wie Sie mir einmal vor langer Zeit sagten, dass ein guter Anwalt – und Sie sind ein extrem guter – eine Frage nur dann stellt, wenn er die Antwort schon weiß.«
    Er zuckte zusammen, wenn auch so unauffällig, dass Hester nicht sicher war, ob sie sich das nicht nur eingebildet hatte. »Sie werden mich nicht dazu bewegen, zu erklären, ich wüsste die Antwort bereits, Hester«, konterte er. »Sie sind sehr gut, aber ich habe diesbezüglich doch etwas mehr Erfahrung.«
    Sie deutete ein Schulterzucken an. »Sehr viel mehr. Die Leute, mit denen Sie es zu tun haben, sind in grundsätzlich anderer Hinsicht Gefangene, als die mir anbefohlenen Personen es sind. Auch wenn sie es nicht immer merken, setze ich mich dennoch für ihre Interessen ein.«
    »Das ist ja nicht schwer«, entgegnete Rathbone. »Ihre Interessen stehen nicht in Konflikt miteinander.«
    »Sie sind naiv, Oliver. Ich habe nur soundso viel Geld, soundso viele Medikamente, soundso viele Betten. Natürlich sind da Konflikte unvermeidlich!«
    Damit nahm sie ihm den Wind aus den Segeln. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass es Schmerzen gab, die er nie wahrgenommen hatte, Entscheidungen, die er nie hatte treffen müssen, und dann wieder andere, die er getroffen hatte, Hester dagegen nicht. Und all das spiegelte sich nun in seinen Zügen.
    Sie beugte sich in ihrem Stuhl vor. »Ich weiß, dass Sie den Auftrag hatten, Phillips zu verteidigen. Und damit waren Sie an seine Interessen gebunden, so wie die Strafverfolgung zum Gegenteil verpflichtet war. Sobald Sie den Fall angenommen hatten, blieb Ihnen keine andere Wahl, als ihn zu verteidigen, es sei denn, er hätte seine Schuld gestanden.War das der Grund, warum Sie ihn nicht in den Zeugenstand riefen, um Figs Ermordung zu bestreiten? Waren Sie sich so sicher, dass er tatsächlich schuldig war?«
    »Nein, das war ich nicht!«, rief Rathbone mit unvermittelter Vehemenz. »Ich nahm lediglich an, dass die Geschworenen ihm nicht glauben würden. Er ist charakterlich nicht gerade angenehm, und wenn er gesprochen hätte, wäre das vor aller Augen deutlich geworden. Die Geschworenen sollen die Beweise abwägen, aber sie sind nun einmal Menschen – leidenschaftlich, verletzlich, voller Mitleid und Abscheu angesichts des Verbrechens, aber auch voller Angst, das Falsche zu tun und womöglich eines Tages selbst Opfer eines Verbrechens zu werden.« Er sprach so schnell, dass er kaum noch Zeit hatte, Luft zu holen. »Persönliche Abneigung hätte sie dann dazu bewogen, an seine Schuld zu glauben. Und wären sie erst davon überzeugt gewesen, dass er andere Verbrechen begangen hatte – woran ich nicht den geringsten Zweifel habe -, hätten sie sehr leicht die Grenze zum Schuldspruch für die vorliegende Anklage überschritten. Sie brauchen ihr Urteil nicht zu rechtfertigen. Nach seiner Verkündung kann ich nicht mehr mit ihnen diskutieren und sie auf Fehler in ihrer Logik hinweisen. Haben sie gesprochen, muss ich das akzeptieren, es sei denn, es liegt ein juristischer Aspekt vor, auf dessen Basis ich argumentieren kann. Fehlende Logik ist kein solcher Aspekt.«
    »Ich weiß«, erwiderte Hester trocken. »Tremayne hätte die Emotionen der Geschworenen gegen Phillips schüren können, und dann wären Sie machtlos gewesen, denn keiner der zwölf Herren hätte seine Strategie durchschaut. Sie hätten sich eingebildet, die Gefühle wären Ausdruck ihrer eigenen Seele und nicht von einem Anwalt manipuliert.«
    »Ganz richtig«, meinte Rathbone mit einem Lächeln. »Ich bin froh über Ihre ausgewogene Sicht der Dinge.«
    Sie erwiderte sein Lächeln mit demselben eisigen Humor. »Natürlich habe ich sie – jetzt. Leider sah ich die Lage nicht so klar, als Sie mich manipulierten, ebenso wenig wie Mr. Tremayne. Auf das Manipulieren verstehen Sie sich besser als er oder ich. Da haben Sie wohl recht, wenn Sie diesbezüglich die größere Erfahrung für sich in Anspruch nehmen.«
    Er errötete. »Ich hatte keine Wahl, Hester. Hätte ich weniger als mein Bestes geben sollen, nur weil Sie Zeugin waren? Hätte ich jemanden, den Sie mögen, mit einer solchen Einstellung verteidigt, wären Sie die Erste gewesen, die mich unehrenhaft genannt hätte. Man kann die Rechtsprechung nicht je nach Sympathie auf verschiedene Weisen handhaben.«
    »Natürlich nicht.« Hesters Stimme klang gepresst, und genau das hatte sie vermeiden wollen. Ihr Tonfall würde ihre

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