Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Anspannung verraten, und Rathbone konnte das nicht verborgen bleiben. »Ich habe diesen Fall verfolgt, weil ich leidenschaftlich davon überzeugt war und bin, dass Phillips ein abgrundtief schlechter Mensch ist, der ein Kind gefoltert und ermordet hat, weil es den Mut hatte, sich gegen ihn zu erheben. Und das glaube ich immer noch. Doch ich weiß, dass ich mich von meinen Emotionen habe beherrschen lassen, statt dem Verstand zu folgen. Ich war in meiner Beurteilung voreingenommen, und sie hat mich im Stich gelassen. Sie haben meine Schwäche ausgenutzt, weil sie mich gut genug kannten.«
    Sie ignorierte das Aufflackern von Zorn und vielleicht Scham in seinen Augen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie gut genug kenne, Oliver. Eine Zeitlang glaubte ich es, aber die Menschen verändern sich, und diejenigen, die ihnen eigentlich am nächsten sind, bemerken dies nicht immer. Lag es an Ihrer Liebe zur Justiz oder an bestimmten Gefühlen, dass Sie Jericho Phillips’ Vertretung übernommen haben?«
    Er starrte sie verblüfft an.
    Sie fuhr unbeirrt fort. Diesmal sollte er sie nicht unterbrechen. »Haben Sie ihn verteidigt, weil Sie dachten, es gäbe niemanden, der der Aufgabe gewachsen wäre oder sie überhaupt übernehmen würde? Vielleicht haben Sie ja recht, wenn Sie vermuten, dass kein anderer das so gut gekonnt hätte wie Sie. Oder haben Sie es getan, um irgendeinem Freund eine Schuld zurückzuzahlen, weil er Ihnen einmal treue Dienste leistete, Ihnen leidtat, oder weil es für Sie eine Ehrensache war?« Sie schluckte. »Oder wollten Sie brillieren, indem Sie sich eines Mannes annahmen, auf den niemand mehr einen Pfifferling gewettet hätte?«
    Aus seinem Gesicht war inzwischen alle Farbe gewichen. »Sehen Sie mich wirklich so, Hester?«
    Sie blickte ihn an, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
    »In diesem Licht möchte ich Sie wirklich nicht sehen. Vor dem Prozess wäre ich sogar bereit gewesen, mich in den Zeugenstand zu stellen und jeden Eid zu schwören, dass Sie über so etwas erhaben sind.« Kurz erwog sie, auch noch Geld und seine Verlockungen zu erwähnen, entschied sich dann aber dagegen; für ihn wäre das die schlimmste Beleidigung gewesen. »Wissen Sie überhaupt, wer Sie bezahlt hat?«, fragte sie stattdessen. »Sind Sie sicher, dass es nicht Phillips selbst war? Wäre es ihm bei seiner Gerissenheit nicht zuzutrauen, dass er es über eine Vielzahl von Kanälen bewerkstelligen kann, sämtliche Spuren, die zu ihm führen, zu verwischen? Dann stellt sich natürlich die Frage: Wenn er direkt zu Ihnen gekommen wäre, ohne einen Kunden oder Freund vorzuschieben, hätten Sie den Fall dann auch übernommen?«
    »Das weiß ich nicht.« Rathbone seufzte. »So ist es jedenfalls nicht gewesen. Über die Einzelheiten kann ich mich nicht auslassen, weil sie wie bei sämtlichen Rechtsberatungen unter dem Schutz der Vertraulichkeit stehen. Das wissen Sie, und Sie wussten es auch schon vorher, als Sie auf dem Weg zu mir waren. Und normalerweise sind Sie doch viel zu realistisch, um Ihre Zeit und Energie damit zu verschwenden, auf Vergangenes zu schimpfen. Was wollen Sie von mir?« Er forderte sie unverblümt heraus. Seine Augen bohrten sich unerbittlich in die ihren und verletzten sie. Zugleich staunte er darüber, wie sie ihn ausmanövriert hatte.
    »Ich würde gern wissen, wer Sie bezahlt hat …«, begann sie.
    »Seien Sie nicht albern«, fuhr er sie an. »Sie wissen doch, dass ich Ihnen das unmöglich sagen kann!«
    »Danach habe ich Sie auch gar nicht gefragt!«, blaffte sie nicht minder scharf zurück. »Dass Sie das nicht können, ist mir klar. Wenn Sie oder die andere Partei willens wären, sich dazu zu bekennen, hätten Sie das längst getan.« Sie gestattete sich, einen brüchigen Unterton der Angst in ihrer Stimme anklingen zu lassen, der sich allerdings eher verächtlich anhörte. »Ich wollte Sie einfach wissen lassen, dass jetzt aufgrund der im Prozess gestreuten Zweifel an Kommandant Durbans Ehre die gesamte an der Themse tätige Wasserpolizei unter hochgradigem Korruptionsverdacht steht, der zu ihrer Auflösung und Eingliederung als Sondertruppe in die Metropolitan Police führen kann. Ihre ganze Erfahrung als Spezialisten wird dann verlorengehen. Sie brauchen sich nicht die Mühe zu geben, mich daran zu erinnern, dass ich daran genauso schuld bin wie Sie. Das weiß ich selbst. Mir geht es nicht darum, Vorwürfe zu äußern. Wie Sie gesagt haben, ist es Zeitverschwendung, über Vergangenes zu jammern.

Weitere Kostenlose Bücher