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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das würde er selbst beurteilen.
    Sie setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. »Die ganze Angelegenheit wird langsam extrem hässlich«, erklärte sie unumwunden. »Es wird gemunkelt, Mr. Durban hätte Jericho Phillips Jungen besorgt, und damit ist die Wasserpolizei als Ganzes angeschwärzt worden. Anscheinend hat es mehrere Vorfälle gegeben, bei denen er Jungen beim Stehlen ertappte und bewusst auf eine Verhaftung verzichtete. Es wären auch andere Erklärungen dafür denkbar, aber man nimmt eben das Schlimmste an.«
    Squeaky nickte. »Sieht übel aus.« Er verzog das Gesicht und sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Es gibt niemanden, der nich’ bei irgendwas in Versuchung gerät, egal ob bei Geld, Macht oder Vergnügen oder einfach, weil ihm andere was schuldig sind. Ich hab auch schon Leute getroffen, bei denen es genügt, dass sie sich jemandem überlegen fühlen können. Vor allem Frauen. Da gab’s einige wirklich schrecklich überlegene Exemplare.«
    »Solche kenne ich auch. Und ich hätte ihnen am liebsten ins Gesicht geschlagen, bis ich begriffen habe, dass diese Überlegenheit wahrscheinlich alles ist, was sie haben. Eine Freundin von mir sagte immer, dass keine Frau so tugendhaft ist wie diejenigen, die kein Mann haben wollte.«
    »Der Spruch gefällt mir!«, rief er voller Bewunderung. Er hielt inne und ließ ihn sich noch einmal durch den Kopf gehen. »Doch, ja, unbedingt.«
    »Squeaky, ich muss in Erfahrung bringen, wie Phillips an seine Jungen herankommt.«
    Ein Klopfen unterbrach sie. Als Hester antwortete, trat Claudine ein. »Guten Morgen«, sagte sie fröhlich. »Darf ich Tee bringen?«
    Hester und Squeaky wussten beide, dass sie nur deshalb gekommen war, weil sie es nicht ertrug, von den Ermittlungen ausgeschlossen zu sein. Sie wollte unbedingt helfen, hatte es aber noch nicht geschafft, über ihren Schatten zu springen und es offen zu sagen.
    Hester lehnte hastig ab. »Danke, aber ich werde gleich wieder aufbrechen und glaube, dass Squeaky mich begleiten muss. Er kennt Menschen, an die ich allein nicht herankomme.«
    Claudine starrte sie niedergeschmettert an.
    »Das gehört nich’ zu den Dingen, mit denen Sie sich auskennen wollen«, brummte Squeaky barsch. »Ich schätze, Sie wissen nich’ mal, warum Mädchen auf die Straße gehen und sich verkaufen. Von Kindern ganz zu schweigen.«
    »Natürlich weiß ich das!«, blaffte sie. »Glauben Sie, ich würde nicht begreifen, was die Frauen hier erzählen? Oder ihnen nicht zuhören?«
    Squeakys Stimme wurde ein wenig weicher. »Jungs«, erklärte er. »Kleine Jungs kriegen wir hier nich’ rein.Wenn sie zusammengeschlagen werden, weiß das keiner, außer diejenigen, die sie gefangen halten. Leute wie Jericho Phillips.«
    »Und was ist denn bei ihren Gründen, warum sie auf die Stra ße gehen, so anders?« Claudine schnaubte. »Kälte, Hunger, Angst und keine Bleibe. Jemand, der sich einsam fühlt, lädt sie zu sich ein. Leicht verdientes Geld, am Anfang zumindest.«
    »Das stimmt.« Hester war überrascht, dass Claudine bei den Gesprächen in der Klinik offenbar aufmerksam zugehört und dabei auch die Formulierungen übernommen hatte. »Aber ich muss beweisen, dass nicht Kommandant Durban derjenige war, der die Zuhälter mit Jungen versorgte. Darum müssen wir gezielt nachforschen.«
    »Kommandant Durban?« Claudine war entsetzt. »So etwas Abgefeimtes habe ich noch nie gehört! Seien Sie beruhigt. Ich kümmere mich in Ihrer Abwesenheit um alles hier. Sehen Sie zu, dass Sie so viele Beweise finden, wie Sie können. Aber seien Sie vorsichtig!« Sie blitzte Squeaky an. »Und Sie passen gut auf sie auf, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun. Und glauben Sie mir, dann werden Sie bedauern, dass Sie geboren wurden!« Damit wirbelte sie herum und rauschte davon, sodass ihr schlichtes graues Stoffkleid sich blähte, als wäre es aus feinster Seide.
    Squeaky schmunzelte. Ein Blick auf Hester genügte jedoch, um das Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen. »Dann lassen Sie uns aufbrechen«, murmelte er. »Ich werde meine ältesten Stiefel anziehen.«
    Sie nickte. »Danke. Ich werde vor der Tür auf Sie warten.«
     
    Sie verbrachten einen deprimierenden Nachmittag, der sich bis in den frühen Abend hinzog, damit, Squeakys Bekannte aus seinem früheren Leben als Bordellbetreiber einen nach dem anderen aufzusuchen.
    Am nächsten Tag setzten sie ihre Unternehmung fort und wagten sich tiefer hinein in das Geflecht von Gassen und Hinterhöfen in Limehouse,

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