Galgenfrist für einen Mörder: Roman
wenigstens so zu tun, als würdest du mich unterstützen. Du würdest unter Druck geraten, wolltest du vor deinen Freunden irgendeinen anderen Weg befürworten, und ich weiß, dass dir viel an ihrer Meinung liegt. Welche privaten Gewohnheiten sie auch haben, sie können es sich nicht leisten, sich öffentlich von dieser Kampagne zu distanzieren.« Damit verließ sie den Salon, bevor ihr Mann antworten konnte, und teilte dem Dienstmädchen mit, dass sie in ihrem Privatzimmer zu speisen wünschte.
Am nächsten Morgen brach Claudine ungewöhnlich früh zur Klinik auf, vor sechs Uhr. Allerdings war es schon hell – schließlich war Sommer. Als sie eine gute halbe Stunde später an ihrem Ziel anlangte, arbeitete Ruby bereits in der Küche. Sie hatte beschlossen, dass Ruby diejenige sein würde, die sie um Hilfe bitten wollte.
»Morgen, Mrs. Burroughs«, begrüßte Ruby sie überrascht. »Is’ was passiert? Sie sehen so aufgeregt aus, richtig fiebrig. Möchten Sie’ne Tasse Tee?«
»Guten Morgen, Ruby.« Claudine schloss die Tür hinter sich. »Ja, eine Tasse Tee wäre mir sehr recht. Ich habe noch nicht gefrühstückt, und Sie auch nicht, könnte ich mir vorstellen. Ich habe Butter und ein Glas Marmelade mitgebracht.« Sie zog beides aus der Tasche und stellte es auf den Tisch. »Und einen Laib frisches Brot.« Sie räusperte sich nervös. »Ich bräuchte Ihren Rat. Unter vier Augen.«
Ein Blick auf die köstliche Marmelade aus Dundee und das knusprige Brot genügte Ruby, um zu wissen, dass es sich um etwas Ernstes handelte. Sie erschrak.
Claudine sagte: »Es besteht kein Anlass zur Sorge«, und stellte sich vor den Ofen, um ihn für das Toastbrot zu erhitzen. »Ich möchte nur etwas unternehmen, womit ich hoffentlich Mrs. Monk helfen kann. Es wird beschwerlich und vielleicht nicht ganz ungefährlich sein. Darum würde sie mich vermutlich daran hindern, wenn sie Bescheid wüsste. Und das ist der Grund, warum ich vertraulich mit Ihnen spreche. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«
Ruby starrte sie perplex an. Ihr war nur zu klar, dass Hester in Schwierigkeiten steckte. Jeder wusste das. »Natürlich kann ich helfen«, erklärte sie entschieden. »Was brauchen Sie?«
»Ich möchte Streichhölzer verkaufen«, antwortete Claudine, immer noch über den Herd gebeugt. »Erst dachte ich an Schnürsenkel – damit könnte es zur Not auch klappen -, nur muss man die nicht jeden Tag kaufen. Blumen würden überhaupt nichts nützen und Essen genauso wenig.« Sie war mit dem Einschüren fertig und kehrte zum Tisch zurück, um das Brot in Scheiben zu schneiden. Sein Duft füllte die ganze Küche.
Ruby schob den Wasserkessel auf die Herdplatte und griff mechanisch nach der Teedose. Ihre Gedanken wirbelten fieberhaft durcheinander. »Wieso wollen Sie Zündhölzer verkaufen?« Das verstand sie nun wirklich nicht. Um Geld konnte es Claudine unmöglich gehen. Sie war doch reich!
»Als Vorwand dafür, dass ich mich in den Straßen vor den Läden postiere, wo möglicherweise auch die Fotografien verkauft werden, die Jericho Phillips von kleinen Jungen macht«, antwortete Claudine. »Wir kennen immerhin die Gesichter einiger dieser Jungen, und vielleicht kann ich diese Fotografien tatsächlich entdecken oder zumindest Kommandant Monk Hinweise darüber geben, wo sie verwahrt werden. Dann hat er eine Möglichkeit mehr, Phillips in die Falle zu locken. Oder vielleicht erwischt er ein paar von den Männern, die so etwas kaufen …« Je weiter sie ausholte, um Ruby ihre Idee zu erklären, desto verzweifelter und alberner kam sie sich vor.
Ruby spürte nichts von Claudines Zweifeln. Im Gegenteil, sie bekam glänzende Augen. Mit einem bewundernden Seufzer stieß sie die Luft aus. »Dann hätte er endlich den Beweis! Er könnte dafür sorgen, dass die Bilder an Phillips kleben bleiben, hm? Das wär’ zwar nicht dasselbe wie der Galgen, aber er würd’ ganz bestimmt verrückt werden vor Angst. Und seine Kunden würden wild durcheinanderschwirren wie die Wespen in’nem Feuer. Klar werd ich Ihnen helfen, und ich werd kein Sterbenswörtchen verraten, das schwör ich Ihnen!«
»Danke«, stieß Claudine dankbar hervor. »Und jetzt frühstücken wir, einverstanden? Sie mögen doch Marmelade?«
»Und ob! Danke!« Ruby brauchte das Glas nur anzuschauen und konnte schon fast den Inhalt schmecken. »Sie werden natürlich’ne Bluse und’nen Rock anziehen müssen, die nicht auffallen. Und’nen Schal. Ich kann Ihnen einen besorgen. Er wird
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