Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Glück noch ein Sandwich. Es war unwahrscheinlich, dass er heute schon etwas gegessen hatte.
Wie Scuff vorgeschlagen hatte, nahmen sie eine Fähre stromabwärts und stellten Erkundigungen nach dem Leichterschiffer an, den Monk suchte. Es dauerte über eine Stunde, bis sie ihn aufstöberten. Er war längst wieder bei der Arbeit, und ehe er mit ihnen sprechen konnte, musste er erst noch seinen Kahn beladen. Bis dahin gesellten sie sich zu einigen Männern, die um ein Kohlenbecken, über dem ein Kessel mit kochendem Wasser hing, herumstanden. Monk kaufte eine Tasse Tee und eine dicke Scheibe Brot. Dasselbe bot er Scuff an, der darüber so lange, wie er es wagte, nachdachte, um dann in einem geübt gleichgültigen Ton zu antworten, dass er nichts dagegen hätte. Die ganze Zeit beobachtete er Monk aus dem Augenwinkel, um sich zu vergewissern, dass er seine Chance nicht verspielte.
Monk gab vor, nichts zu bemerken.
Schließlich stiegen sie zu dem Leichterschiffer in den Kahn.
»Ich hab Ihnen doch schon alles gesagt«, brummte der Mann müde. »Sie haben den Dreckskerl entwischen lassen! Mehr kann ich Ihnen nich’ sagen.«
Sie hockten auf Segeltuchballen, während das Boot mit dem flachen Rumpf langsam auf Greenwich zuglitt.
»Ich weiß, was Sie uns gesagt haben«, versicherte ihm Monk. »Und sämtliche Beweismittel bestätigen das. Aber wir haben Sie noch nicht danach befragt, was Mr. Durban zu Ihnen gesagt hat oder ob er noch irgendetwas anderes wissen wollte, das Sie bisher nicht erwähnt haben.«
Der Schiffer verzog nachdenklich das Gesicht und kniff die Augen zu, als blinzelte er auf das im grellen Sonnenlicht glitzernde Wasser hinaus. »Er war aufgeregt«, antwortete er bedächtig. »Er krümmte sich richtig, wie wenn ihm einer’nen Magenschwinger verpasst hätte. Und allein schon deswegen hatte er bei mir ehrlich gesagt’nen Stein im Brett.«
Monk erging es genauso, aber das war nicht die Antwort, die er brauchte. Dieselben Fragen hatte er auch schon Orme gestellt, aber sein Stellvertreter hatte Durban nur immer verteidigt. Die ständige Wiederholung, dass Durban das Richtige getan habe, brachte ihn freilich nicht weiter. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass dem Leichterschiffer irgendetwas anderes einfiel, das er zwischendurch vergessen hatte, ein Wort vielleicht, das ihm eine neue Richtung weisen konnte. Monk stocherte aufs Geratewohl herum und war sich dessen nur zu bewusst. Die Miene des Schiffers verriet deutlich, wie enttäuscht der Mann war. Er hatte mehr erwartet und nichts bekommen. Mit seiner Aussage vor Gericht hatte er sich Gefahren ausgesetzt, und Monk hatte ihn im Stich gelassen.
»Haben Sie Angst vor Phillips?«, fragte Monk unvermittelt.
Damit hatte der Leichterschiffer nicht gerechnet. »Nein!«, rief er entrüstet. »Wieso sollte ich? Ich hab ja nie gesagt, dass er was angestellt hat. Er hat keinen Grund, mir was anzutun.«
»Und wenn er doch einen hätte?«, setzte Monk nach, sorgfältig darauf bedacht, seine Stimme frei von jeglichen Emotionen zu halten.
Der Schiffer starrte ihn an. »Was is’ mit Ihnen? Sind Sie schwer von Begriff, oder was? Er würde mir die Därme rausschneiden und im Hafen auf dem Execution Dock zum Trocknen aufhängen.«
Monk zeigte sich immer noch nicht überzeugt.
Scuff schaute unterdessen mit weit aufgerissenen Augen von einem zum anderen.
»Aber Sie würden ihn trotzdem nich’ fangen«, fügte der Schiffer hinzu. »Ihr Schlafmützen fangt euch höchstens’ne Erkältung, wenn ihr im Winter ins Wasser fallt. Mr. Durban wusste, was er wollte. Wenn er noch am Leben wär’, hätte er den Dreckskerl persönlich aufgeknüpft.«
Diese Worte trafen Monk umso schmerzhafter, als das Durbans einziger ungeklärter Fall war. Doch zugleich ließen sie einen möglichen Ansatz erkennen, der es zumindest wert war, aufgegriffen zu werden. »Er verfolgte den Fall also immer noch?«, fragte er.
Der Leichterschiffer strafte ihn mit einem vernichtenden Blick.
»Natürlich war er bis zum Schluss dahinterher! Ich schätze, er hätte nie aufgegeben.« Er blinzelte in das grelle Licht und tauchte das lange Ruder etwas tiefer ins Wasser, womit er den Kurs um ein paar Grad korrigierte.
»Was gibt es denn zu verfolgen?« Monk musste sich bei dieser Frage überwinden, machte er sich damit doch selbst angreifbar. Das klang ja fast so, als würde er den Schiffer fragen, wie er seine eigene Arbeit zu erledigen habe.
Der Bootsmann zuckte mit den Schultern. »Woher, zum Kuckuck,
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