Galgenfrist für einen Mörder: Roman
erbärmlicher Anblick sind Sie«, begrüßte er Monk abschätzig. »Ein Gesicht wie ein zerfetzter Stiefel. Und wahrscheinlich haben Sie auch allen Grund dazu. Das gestern haben Sie ja gründlich verpfuscht.« Er lief neben Monk her, als dieser den Kai entlang zur Polizeiwache strebte. Der Junge schniefte. »Aber irgendwas müssen Sie doch tun, oder?« Seine Stimme hatte einen Unterton, der Sorge, wenn nicht sogar nackte Angst verriet.
Monk blieb stehen. Der Fährmann war ihm nicht die Mühe einer Ausrede wert gewesen, aber Scuff verdiente den Mut zur Ehrlichkeit. Ihn durfte er nicht enttäuschen. Er blickte den Jungen eindringlich an und erkannte sofort die Verletzlichkeit in seinen Augen.
»Natürlich werde ich etwas unternehmen«, sagte er mit fester Stimme. »Vorher muss ich nur scharf darüber nachdenken, damit ich es richtig mache – wenigstens diesmal.«
Scuff schüttelte den Kopf. Auch wenn er dabei die Luft mit einem Zischen einsog, ließ seine Angst offenbar nach. »Sie müssen aber auf sich aufpassen, Mr. Monk. An Land mögen Sie ja mit allenWassern gewaschen sein, aber den Schurken am Fluss sind Sie nich’ gewachsen. Aber eins muss ich zugeben: Dieser Anwalt is’ ein heller Bursche. Und hübsch wie frische Farbe, in seiner gestreiften Hose und den glänzenden Schuhen.« Im nächsten Moment drückte das Gesicht nur noch Mitleid aus. »Aber trotzdem is’ seine Moral krumm wie die Hinterbeine von’nem Hund.« Er lief neben Monk her.
»Er ist nicht ›krumm‹«, korrigierte Monk den Jungen. »Es ist seine Aufgabe, Menschen eine Strafe vor Gericht zu ersparen. Es ist meine Schuld, dass ich ihm das ermöglicht habe.«
Scuff ließ sich nicht so leicht überzeugen. »Dann hat ihn einer in den Schwitzkasten genommen.«
»Möglicherweise. Es könnte aber genauso gut sein, dass es ihm um das Prinzip unserer Rechtsprechung ging, wonach auch die Übelsten unter uns einen gerechten Prozess verdienen.«
Scuff verzog das Gesicht zu einem Ausdruck tiefsten Abscheus. »Die Übelsten unter uns verdienen es, an’nem Seil zu baumeln, und wenn Sie das nich’ wissen, darf man Sie gar nich’ mehr allein auf die Straße lassen.«
»Das ändert alles nichts an den Tatsachen, Scuff«, murmelte Monk niedergeschlagen. »Phillips ist frei, und ich muss zusehen, dass ich den Trümmerhaufen aufräume und ihn für irgendetwas anderes einbuchte.«
»Da helf ich Ihnen!«, rief Scuff spontan. »Ohne mich sind Sie doch aufgeschmissen.«
»Über deine Hilfe würde ich mich freuen«, sagte Monk so sanft, wie er konnte. »Aber aufgeschmissen bin ich nicht. Im Augenblick habe ich noch keine klaren Vorstellungen davon, wo ich anfangen soll, außer dass ich noch einmal alles durchgehen will, was ich schon weiß, um die Löcher darin aufzuspüren. Dann werde ich so lange neue Spuren verfolgen, bis ich ihm Pornografie oder Erpressung nachweisen kann. Das ist sehr gefährlich, und ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
Darüber dachte Scuff eine Weile nach. Er versuchte, mit Monk Schritt zu halten, doch dafür waren seine Beine nicht lang genug, sodass er immer wieder zwei, drei Laufschritte einlegen musste.
»Ich hab keine Angst«, sagte er schließlich. »Oder wenigstens nich’ so viel, dass ich deswegen aufgebe.«
Monk blieb abrupt stehen. Einen halben Schritt später tat Scuff es ihm gleich.
»An deinem Mut habe ich nicht den geringsten Zweifel«, sagte Monk und sah dem Jungen fest in die Augen. »Ja, wenn du ein bisschen weniger hättest, wärst du wohl sicherer.«
»Wollen Sie etwa, dass ich den Schwanz einziehe und kneife?«, rief Scuff ungläubig.
Monk traf blitzschnell eine Entscheidung. »Wenn du dann die Finger von Männern wie Phillips lässt, ja.«
Der Junge stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Ganz langsam erstarb der Ausdruck von Sturheit und machte einer gekränkten Miene Platz. »Sie glauben, dass ich zu nix zu gebrauchen bin, was?«, fragte er mit einem leisen Schniefen.
Monk war auf sich selbst wütend, weil er sie beide in diese Lage und sich in eine Zwickmühle manövriert hatte. Jetzt hatte er nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln. Das eine war, zu leugnen, dass er den Jungen in sein Herz geschlossen hatte, was eine Lüge wäre, die den Jungen zusätzlich verletzen würde und einen Schaden anrichten konnte, der sich vielleicht nie wieder beheben ließe. Die Alternative, die vielleicht noch grausamer war, bestand darin, zu behaupten, dass er Scuff wirklich für nutzlos hielt. So etwas konnte er
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