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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht einmal in Betracht ziehen.
    Er setzte sich wieder in Bewegung.
    »Ich glaube im Gegenteil, dass du von großem Nutzen bist«, sagte er leise und schritt etwas langsamer aus, um dem Jungen das Laufen zu ersparen. »Du weißt viel und bist ein schlauer Kerl. Aber fürs Kämpfen brauche ich dich nicht, denn das könnte eine äußerst üble Angelegenheit werden. Hast du schon einmal den Ausdruck ›sich selbst zur Geisel machen‹ gehört?«
    »Nein, noch nie«, sagte Scuff misstrauisch, aber in seinen Augen glomm ein Funke Hoffnung auf.
    »Er bedeutet, dass etwas einem Menschen so sehr am Herzen liegt, dass er es sich nicht leisten kann, es zu verlieren, und dass er sogar bereit ist, alles zu tun, was böse Menschen von ihm verlangen, nur damit sie es ihm nicht wegnehmen.« Um Scuff nicht in Verlegenheit zu bringen, fügte er in leichtem Ton hinzu: »Dieser Mensch glaubt, dass es eine Menge wert ist, selbst wenn das in Wahrheit gar nicht stimmt und es überhaupt nicht schade darum ist.«
    Das ließ sich Scuff lange durch den Kopf gehen. »Oh«, brachte er schließlich hervor. »Sie würden also nich’ wollen, dass Phillips mich zum Beispiel ertränkt oder mir die Kehle aufschlitzt, und lassen ihn deshalb lieber in Ruhe? Und umgekehrt, wenn’s Ihnen egal wär’, würden Sie ihm einfach sagen, dass er Sie gernhaben kann, und ihn sich vorknöpfen?«
    »Etwas in dieser Art«, bestätigte Monk und beglückwünschte sich zu seiner Erklärung.
    »Kapiert«, erwiderte Scuff mit einem bedächtigen Nicken. »Tja, wenn wir also Leute mitmachen lassen, die so blöd sind, dass sie sich erwischen lassen, müssen wir darauf achten, dass es welche sind, die uns nich’ am Herz liegen … oder nich’ allzu sehr. Ich könnte mir vorstellen, dass Mrs. Monk so’ne Geisel wär’, die Sie gemeint haben, nich’ wahr? Sie würden bestimmt sogar den leibhaftigen Teufel laufen lassen, nur um sie zu retten, was?«
    Eine zwingende Schlussfolgerung. »Ja«, gab Monk zu. »Das ist auch der Grund, warum sie sich von Phillips und den verruchten Orten am Fluss fernhält. Ich gehe dorthin, und bevor wir darüber streiten, du nicht .«
    »Ihr können Sie vielleicht sagen, was sie tun soll, weil sie’ne Frau is’.« Scuff blieb abrupt stehen und baute sich mit leicht gespreizten Beinen vor Monk auf. »Aber ich bin keine.« Er holte tief Luft. »Und Sie sind nich’ mein Papa. Trotzdem werd ich auf Sie aufpassen. Wo fangen wir an? Ich weiß schon: dabei, wie sie Figs Leiche aus dem Wasser gefischt haben. Und wir beeilen uns mal besser. Jetzt stehen Sie doch nich’ da, wie wenn Sie festgewachsen wären.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte er unbekümmert zum Fluss zurück und auf die Stufen zur Anlegestelle für die Fähren zu. Er blickte nicht einmal über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Monk ihm folgte.
    Es verdross Monk, dass er einfach ignoriert wurde, doch hinter Scuffs Manöver ahnte er den Versuch des Jungen, bei ihm zu bleiben, ohne seine Würde opfern zu müssen. Er sehnte sich verzweifelt danach, einer Gemeinschaft anzugehören, und glaubte, die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, bestehe darin, sich nützlich zu machen. Was drohte ihm denn schon im Vergleich zu den Gefahren, denen er täglich ausgesetzt war, allein schon, weil er am Rande des Flusses lebte und sich Essen und Unterschlupf zusammenschnorrte, indem er bei Ebbe Kohlestücke und verlorengegangene Blechschrauben aus dem Schlamm klaubte?
    Monk holte den Jungen ein. »Na gut«, brummte er in einem Ton, als gebe er nur widerstrebend nach. »Du kannst mir bei der Suche nach dem Leichterschiffer helfen, der Figs Leiche entdeckt hat. Du hast recht. Ich wollte tatsächlich bei ihm anfangen.«
    »Klar hab ich recht«, erwiderte Scuff mit einem beiläufigen Schulterzucken, als wäre ihm das Lob egal. Dann eilte er weiter, angestrengt darum bemüht, Monks Blick auszuweichen. Er wollte nicht, dass der Erwachsene in diesem Moment in seinem Gesicht las; er war zu verletzlich. »Wir können’ne Fähre zum Pool of London nehmen«, schlug er vor. »Um diese Zeit machen die Leichterschiffer bestimmt Pause und trinken’ne Tasse Tee.«
    Monk war unschlüssig, ob er dem Jungen danken sollte oder nicht. Er entschied sich dagegen. Das hätte womöglich herablassend gewirkt. »Na, hoffentlich«, sagte er nur. »Ich könnte jetzt auch eine brauchen.«
    Scuff schnitt eine Grimasse. Monk wusste, dass er darauf hoffte, auch eine Tasse Tee zu bekommen, und mit etwas

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