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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wusste? Dennoch konnte er das nicht auf sich beruhen lassen. Auch vor ihm hatten die Leute einmal Angst gehabt. War auch er im Grunde gewalttätig? Dazu bedurfte es offenbar nicht viel. »Wer hat Ihnen das gesagt?«, fragte er.
    »Ich hab ihn selber gesehen. Hab ich Ihnen doch gesagt.War’n fürchterlicher Anblick.«
    »Aber woher wissen Sie, dass es Durban war, der ihn zusammengeschlagen hat, und dass es Absicht war? Vielleicht hatte ja Jetsam angefangen.«
    Sie starrte ihn ungläubig an. »Der alte Jetsam? Veralbern Sie mich nich’! Jetsam is’ der größte Feigling, der je geboren wurde. Er würde nich’ mal dann auf’nen Polypen losgehen, wenn der voll wie’ne Haubitze wär. Lügen wie gedruckt, seine Mama um Sixpence betrügen, ja, aber jemand ins Gesicht schlagen, das würde er nie tun.«
    Monk verkrampfte sich der Magen. »Aber warum sollte Durban ihn verprügeln?«
    »Hat wahrscheinlich die Beherrschung verloren, weil Jetsam ihn angelogen hat«, lautete ihre schlüssige Antwort.
    »Wenn Jetsam ein Lügner ist, woher wissen Sie dann, dass es nicht irgendein betrogener Kunde war, der ihm so zugesetzt hat?«
    Scuff kehrte zurück und überreichte Biddie das Bier und Monk das Wechselgeld. Monk bedankte sich.
    »Hören Sie zu«, sagte Biddie geduldig. »Sie waren anständig zu mir, und darum will ich Ihnen nix vorlügen. Der Polyp aus dem Viertel, der Streifendienst hatte, musste die zwei voneinander trennen, und er war schon drauf und dran, Durban anzuzeigen, weil der dem alten Jetsam fast den Schädel eingeschlagen hätte. Und bestimmt wär’ Durban vor Gericht gestellt worden, wenn er nich’ selber ein Polyp gewesen wär’ und ihm gedroht hätte.«
    »Das sollte doch keinen Unterschied ausmachen«, meinte Monk und erkannte im selben Moment, dass das ein Fehler war. Verachtung blitzte in ihren Augen auf, und ihm war klar, was sie gleich sagen würde. Dennoch schmerzten ihn ihre Worte wie eine frische Wunde, als sie sie ihm entgegenschleuderte.
    Sie verdrehte die Augen. »Ach ja? Der Polizist, der ihm in den Arm gefallen ist, war bloß’n kleiner Constable, und Durban war Kommandant bei der Wasserpolizei. So dumm ist keiner, dass er das nich’ durchschaut. Der Constable mag vielleicht was in seinen Bart gebrummelt haben, aber sonst hat er nix getan und Jetsam auch nich’. Wenn einer von uns gewusst hätte, wer Mary Webber is’, hätten wir’s ihm garantiert gesagt.«
    Monk setzte seine Ermittlungen an diesem Tag nicht mehr fort. Für heute war es zu spät, um noch nach Beweisen für die bisherigen Ergebnisse zu suchen. Schweigend trottete er mit Scuff zum nächsten Kai, wo Laternen brannten und sie eine Fähre zurück nach Rotherhithe nehmen konnten. Das Wasser hatte seinen Tiefststand erreicht, und im gelben Schein der Lichter schimmerte vor ihnen, so weit das Auge reichte, der mit Schlamm und Steinen bedeckte Uferbereich. Auf seine Weise war das ein unheimlicher und zugleich schöner Anblick. Die ölige Oberfläche des Wassers bewegte sich kaum. Selbst die vor Anker liegenden, abgetakelten Schiffe mit ihren nackten Masten schaukelten nicht im Licht der Sommersterne. Reglos am Himmel hängende Rauchschwaden trübten hier und da die Sicht nach oben. Der Qualm quoll aus den hohen Schornsteinen der Fabriken, in denen die Arbeit nie ruhte.
    Monk grübelte. Konnte er Biddie glauben? Wer war Mary Webber? In den Unterlagen über Phillips war nie von ihr die Rede gewesen.Wer war sie, dass Durban sich selbst und alle Werte, die er normalerweise vertreten hatte, derart vergessen konnte, dass er sich auf diesen Mann gestürzt hatte, um sein Wissen aus ihm herauszuprügeln? Und – was vielleicht noch schlimmer war – anscheinend hatte er einen rangniedrigeren Beamten dazu gezwungen, unter Verletzung seiner Dienstpflicht den Vorfall zu vertuschen.
    Nie hätte Monk es für möglich gehalten, dass Durban zu so etwas in der Lage war. Aber wie gut hatte er ihn denn wirklich gekannt? Er hatte ihn gemocht. Mahlzeiten, Wärme und körperliche wie geistige Erschöpfung hatten sie miteinander geteilt, als sie in einem erbarmungslosen Rennen gegen die Zeit nach Männern gefahndet hatten, die, ohne es zu ahnen, die halbe Menschheit hätten vernichten können. Sie hatten sie gefunden. Noch heute erlebte Monk das Grauen in seinen Träumen immer wieder aufs Neue.
    Und Durban war dem Schrecken letztlich zum Opfer gefallen. Edelmütig war er wissentlich in den Feuertod gegangen, um andere zu retten und der Bedrohung ein Ende

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