Galgenfrist für einen Mörder: Roman
ein richtiges Paar sind.«
Ihr brannte noch etwas anderes auf den Nägeln, etwas, das sie beunruhigte und worüber sie mit ihm sprechen wollte. Monk erkannte es an ihren Augen: Sie hatten etwas Zögerliches, als suchte Hester immer noch einen Ausweg, der es ihr ersparte, das Thema anzuschneiden.
Er berichtete ihr das, was er über Mary Webber gehört hatte, verschwieg aber Durbans Gewalttätigkeit gegenüber dem Pfandleiher und den Missbrauch seines Ranges, um den Constable an einer Anzeige gegen ihn zu hindern. Überrascht stellte er fest, dass es ihm nicht etwa um Hesters Schutz ging – sondern um den Durbans. Ihm selbst lag viel daran, was Hester von Durban hielt, und er stellte sich vor, dass es Durban ebenso ergangen wäre.
»Warum lächelst du?«, fragte sie verblüfft und etwas verunsichert.
»Ich weiß nicht genau«, gestand er. »Weil Scuff mithilft, nehme ich an.«
Mit einem Schlag wurde sie ernst.
»Sei vorsichtig, William«, bat sie ihn. »Bitte. Ich weiß, dass er seit Jahren allein zurechtkommt, aber er ist doch noch ein Kind. So viele Menschen sterben am Fluss …« Den Rest ließ sie unausgesprochen. Es gab in London mehr Kinder wie Fig als wie Scuff, und das wussten sie beide.
Er senkte den Blick auf ihre Hände, die auf dem Tisch ruhten. Sie waren sehr schmal, fast wie Mädchenhände, und dennoch kräftig. Ihre Schönheit lag nicht in weicher weißer Haut oder feinen Nägeln, sondern in ihrer Anmut und darin, dass sie, wie er selbst wusste, flink und sanft sein konnten und ihre Berührung federleicht. Eher würden sie brechen, bevor sie einen Ertrinkenden losließen, doch einen Schmetterling würden sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit davonflattern lassen, mit der er es sich auf diesen Händen bequem gemacht hatte. Er liebte ihre Hände. Am liebsten hätte er sie gestreichelt, doch er fühlte sich befangen, wenn es wie jetzt so viel Dringenderes zu erledigen gab.
»Durban wurde erpresst«, sagte Hester leise, ohne Monk in die Augen zu schauen. »Ich weiß nicht, weswegen oder von wem. Könnte das mit dieser Mary Webber zu tun haben, wer immer sie ist?«
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Monk. Er wünschte sich, er müsste es auch nie in Erfahrung bringen. Schon jetzt überforderten ihn seine bisherigen Erkenntnisse, und je mehr er erfuhr, desto schmerzhafter war es für ihn. Was trieb die Menschen nur pausenlos an, nach der Wahrheit zu forschen, jeden Knoten zu entwirren und selbst dann nicht aufzuhören, wenn Nichtwissen ihnen Seelenfrieden verheißen würde und das Leben erträglicher gemacht hätte? Würde die Wahrheit alles heilen? Wie viel Wahrheit konnte ein Einzelner verkraften?
Sie erhob sich. »Das genügt für heute. Lass uns zu Bett gehen.« Sie sagte das sanft, aber bestimmt. Widerspruch würde sie nicht akzeptieren, und er hatte nicht vor zu protestieren.
Wenn sich Hester um Durbans Ruf sorgte, dann nicht so sehr um seinetwillen, sondern wegen der möglichen Auswirkungen der Enthüllungen auf Monk. Ihr Mann hatte wenig Freunde gehabt, zumindest soweit er sich erinnern konnte. Einst waren er und Runcorn mehr als Verbündete gewesen. Beide hatten ihre Hingabe für die Arbeit bei der Polizei, aber auch deren Tragik und Gefahren geteilt. Sie hatten zueinander das Vertrauen gehabt, das es einem ermöglicht, sein Leben in die Hände eines anderen zu legen, in dem Wissen, dass dieser eher stirbt, bevor er einen Gefährten im Stich lässt.
Doch Monks scharfe Zunge und sein Ehrgeiz hatten Runcorn, der einen engeren Horizont sowohl hinsichtlich Visionen als auch seiner Fähigkeiten hatte, zu bitterer Eifersucht getrieben. Die Rivalität zwischen ihnen hatte das Schäbigste in ihm zutage gefördert, und aus ihrer Freundschaft war letzten Endes Feindschaft geworden.
Und Monks Förderer aus seinen jungen Jahren, den er ungeheuer bewundert hatte, hatte sich als mit schlimmen Mängeln behaftet erwiesen. Selbst nach dem Unfall, der Monk die Erinnerung geraubt hatte, hatte ihre Beziehung als Gespenst weitergewirkt, das Monk immer wieder heimsuchte. Er war dazu getrieben worden, dieses Gespenst zu verfolgen, bis es sich ihm offen zeigte und wenigstens einen Teil der Antwort preisgab.
Natürlich erwähnte Hester Sutton gegenüber nichts davon, als sie sich trafen, um die Suche wiederaufzunehmen. Er vermutete wohl, dass es darum ging, Beweismittel für Phillips’ Schuld an irgendeinem Verbrechen zu finden, mit deren Hilfe sie ihn erneut vor Gericht stellen konnten. Dass die Akte
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