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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zu setzen. Und er war allein gegangen. Er hatte sich geweigert, Monk sein Schicksal teilen zu lassen. Bevor Monk mit ihm zugrunde gehen konnte, hatte er ihn vom Heck des Schiffs ins aufgewühlte Wasser gesto ßen. Er hatte gewusst, dass Orme in dem ihnen folgenden Boot stoppen und Monk aus dem Wasser fischen würde, und vereitelte so die letzte Chance, ihn, Durban, von dem brennenden Schiff zu holen, bevor die Magazine explodierten.
    Monks Gedanken wanderten ins Allgemeine. Was für eine Art von Freundschaft oder Treue konnte man einem Menschen beweisen, der so unendlich tapfer und doch zugleich mit schrecklichen Charakterschwächen behaftet war? Was schuldete man bei gegebenen – oder nur empfundenen – Versprechen? Was, wenn die andere Person für immer verschwunden war und weitere Erklärungen nicht mehr erbeten oder gegeben werden konnten, aber man selbst immer noch handeln und an etwas glauben musste?
    Scuff beobachtete ihn aufmerksam. Er war gespannt darauf, was Monk im Licht der letzten Enthüllungen zu tun gedachte, und der Ältere war sich dessen nur allzu deutlich bewusst.
    »Kann sie Phillips vielleicht hinter Gitter bringen?«, fragte Scuff hoffnungsvoll. »Glauben Sie, dass das der Grund is’, warum wir hinter ihr her sind? Oder hat Phillips vielleicht auch sie abgemurkst, was meinen Sie? Und is’ das der Grund, warum keiner sie gefunden hat?«
    Monk musste ihm antworten. »Nein, eigentlich nicht.«
    »Hätte aber sein können.« Scuff hob die Stimme, um etwas positiver zu klingen, ja, er bemühte sich sogar um einen fröhlichen Ton. Und Monk wusste, dass er das nur ihm zuliebe tat. »Sie versteckt sich irgendwo, weil sie eine Heidenangst vor Phillips hat. Hat vielleicht gesehen, was passiert ist. Oder vielleicht is’ sie die Mama von’nem Jungen, den Phillips sich gekrallt hat.«
    »Vielleicht«, gestand ihm Monk zu, auch wenn er das nicht glaubte. »Allerdings hat Durban sie nie in seinen Aufzeichnungen erwähnt, und das hätte er doch bestimmt getan, wenn sie direkt betroffen gewesen wäre.«
    Darüber dachte Scuff eine Weile nach. Sie hatten eine Fähre herbeigewinkt und schon mehr als die Hälfte des Flusses zwischen den vor Anker liegenden großen Schiffen überquert, als er eine Lösung fand.
    »Vielleicht hat er bloß deswegen nix über sie geschrieben, weil er sie schützen wollte … wenn sie wirklich was gesehen hat und Phillips sie deswegen umbringen will. Was er bestimmt auch tut, wenn er kann.«
    »Wie könnte er denn wissen, was in Durbans Aufzeichnungen stand?« Monk formulierte seinen Vorbehalt bewusst als Frage. Er wollte den Jungen nicht wie ein kleines Kind behandeln, indem er so tat, als würde er etwas glauben, das nicht logisch war.
    In der Dunkelheit mitten auf dem Fluss konnte er Scuffs Gesicht nicht sehen, doch die Art und Weise, wie er die schmalen Schultern krümmte, ließ ihn ahnen, dass der Junge verletzt war.
    Die Ruder tauchten in stetem Rhythmus ins Wasser, und der Fährmann, offenbar ein erfahrener Flussschiffer, brachte sie zügig dem Ufer näher.
    »Es is’ wohl so, wie Sie gesagt haben«, murmelte Scuff betrübt. »Da stecken feine Herren bis zum Hals mit drin. Herren, die genug Geld haben, um Ihren Freund, den Anwalt, der Phillips rausgepaukt hat, zu bezahlen. Und Sie wissen nich’, wer sie sind, weil sie nich’ unbedingt an die große Glocke hängen, dass sie ganz wild auf die Sachen sind, die er auf dem Boot macht.«
    »Da hast du recht, Scuff«, sagte Monk entschieden. »Ich hätte selbst daran denken müssen. Das hast du ganz richtig erkannt!«
    Selbst in der Dunkelheit konnte er Scuffs Grinsen sehen.
    Als für Scuff ein Bett hergerichtet worden war und er tief schlummerte, saßen Hester und Monk bei einem späten Abendbrot – im Grunde nicht mehr als ein großes Stück Obstkuchen und zwei Tassen Tee – in der Küche beisammen.
    »Ich kann ihn nicht allein am Fluss herumlaufen lassen, solange Phillips nicht hinter Schloss und Riegel steckt«, erklärte Monk besorgt, die Augen auf Hesters Gesicht gerichtet.
    »Das ist auch meine Verantwortung, genauso wie deine«, erwiderte sie. Und dann lächelte sie. »Natürlich können wir das nicht zulassen. Und weil das womöglich ziemlich lange dauern könnte, solltest du ihm saubere Kleider besorgen. Ich selbst bin zu beschäftigt, um die, die er hat, jeden Abend zu waschen, geschweige denn zu trocknen. Und wenn du schon beim Einkaufen bist, könntest du vielleicht auch Stiefel besorgen, die ihm passen – und

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