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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Bisweilen werden Fehler gemacht, Lügen in Momenten erzählt, in denen wir sie nicht erwarten, Beweismittel verfälscht oder missbraucht. Persönlicher Hass oder Vorurteile können zum Tragen kommen, Ängste, Gefälligkeiten oder Eigeninteresse die Aussage bestimmen. Jede Klage muss geprüft werden, und wenn sie unter Druck zerbricht, dann fehlt die Grundlage für einen Schuldspruch, und eine Bestrafung wäre unverzeihlich.«
    Monk unterbrach ihn nicht.
    »Sie verabscheuen Phillips«, fuhr Rathbone fort, der sich ein wenig entspannt hatte. »Ich auch. Ich könnte mir vorstellen, dass alle anständigen Männer und Frauen im Gerichtssaal so gefühlt haben. Gerade darum ist es umso notwendiger, dass wir Gerechtigkeit üben. Wenn von allen Menschen ausgerechnet wir zulassen, dass das Ausmaß unseres Entsetzens bestimmt, wie wir die Justiz handhaben, welche Hoffnung besteht dann noch für andere?«
    »Eine exzellente Ansprache«, pflichtete ihm Monk bei. »Und in jeder Hinsicht vollkommen wahr. Aber unvollständig. Der Prozess ist vorbei. Ich habe bereits zugegeben, dass wir mangelhaft gearbeitet haben. Wir waren uns Phillips’ Schuld so sicher, dass wir Ihnen Schlupflöcher offen ließen, die Sie prompt genutzt haben. Wir können ihn nun wegen dieser Sache nie wieder vor Gericht stellen. Jede neue Klage müsste sich auf etwas anderes beziehen. Wollen Sie mich nun darauf aufmerksam machen, dass Sie ihn wieder verteidigen würden, ob aus freier Wahl oder aufgrund irgendeiner Notwendigkeit, etwa weil Sie ihm etwas schulden oder jemand anderem, dem seine Interessen am Herzen liegen?« Ganz bewusst verlagerte nun auch Monk das Gewicht. »Ist es denkbar«, fuhr er fort, »dass entweder Sie oder Ihr Auftraggeber von Phillips bestochen, gezwungen oder bedroht werden und glauben, keine andere Wahl zu haben, als ihn – in welcher Sache auch immer – zu verteidigen?« Das war eine gewagte, vielleicht sogar brutale Frage, und kaum war sie ausgesprochen, befielen ihn heftige Zweifel.
    Rathbone war kreidebleich geworden. Seine Augen verrieten keine Spur von freundschaftlichen Gefühlen mehr. »Haben Sie ›bestochen‹ gesagt?«
    »Ich habe das als eine von mehreren Möglichkeiten genannt.« Monks Stimme und Blick blieben fest. »Ich kenne die Person nicht, die Sie für Phillips’Verteidigung bezahlt hat. Sie sehr wohl. Sind Sie sicher, dass Sie den Grund dafür kennen?«
    Etwas an Rathbones Haltung änderte sich. Es war so geringfügig, dass Monk es nicht benennen konnte, doch er spürte, dass Rathbone ein neuer Gedanke in den Sinn geschossen war, einer, der ihn beunruhigte, wenn auch vielleicht nur ein kleines bisschen, aber in jedem Fall für Unbehagen sorgte.
    »Es ist Ihnen unbenommen, zu spekulieren«, erwiderte Rathbone, die Stimme fast ebenso ruhig, fast ebenso sicher wie zuvor. »Aber Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass ich das nicht kommentieren, geschweige denn Ihnen mitteilen darf. Meine Ratschläge an andere sind so vertraulich wie die an Sie.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Monk trocken. »Und wie lautet Ihr Rat an mich? Ich bin Kommandant der Wasserpolizei in Wapping. Ich muss in meinem Zuständigkeitsbereich alle Arten von Gewaltverbrechen verhindern, Missbrauch und Nötigung, Pornografie und Kindesmord. Bei Figgis’ Ermordung durch Phillips habe ich gepfuscht. Wie kann ich die nächste Bluttat verhindern? Und die übernächste?«
    Rathbone schwieg und trat, tief in Gedanken versunken, zu seinem Schreibtisch hinüber.
    »Unsere Pflichten sind verschiedener Natur, Monk. Meine gilt dem Gesetz und ist darum umfassender als Ihre. Damit meine ich nicht, dass sie besser wäre, sondern lediglich, dass das Gesetz sich langsam bewegt und seine Veränderungen darum mehrere Generationen lang Bestand haben können. Ihre Pflicht hingegen gilt Ihrem Beruf, den Menschen am Fluss von heute, den ihnen unmittelbar drohenden Gefahren oder ihren Leiden. Darum ist die einfache Antwort, dass ich Ihnen keinen Rat erteilen kann.«
    »Ihre Pflicht ist nicht umfassender«, hielt ihm Monk entgegen. »Sie kümmern sich um die Interessen eines einzigen Mannes. Ich kümmere mich um jeden Einzelnen in meiner Gemeinschaft. Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Namen, Ihre Hingabe mit diesem Mann verbinden wollen und darum auch mit der Person, wer immer es ist, an die er seinerseits aus welchem Grund auch immer gebunden ist? Wir alle haben Ängste, Schulden und vielleicht auch Leichen im Keller. Kennen Sie die seinen gut genug, um ihren

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