Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Süden an und lenkte den Wagen auf den mit Gras bewachsenen Strand. Ich kurbelte eines der Fenster halb herunter, legte mich auf die Rückbank und schlief begleitet vom sanften Geräusch der Wellen, die ans Ufer klatschten, sofort ein.
Als es dämmerte, war ich trotz des eher kurzen Nickerchens hellwach, ging mit aufgekrempelten Ärmeln am Strand spazieren und kreiste mit den Armen, um meine steifen Glieder zu lockern. Mein Frühstück bestand aus einer Zigarette. Zum Rauchen ließ ich mich auf einer Sanddüne nieder und sah zu, wie die Felseninsel Ailsa Craig im Morgenlicht Gestalt annahm. Über das gefährliche Unterfangen, das mir bevorstand, dachte ich kaum nach und verdrängte auch die bange Frage, ob ich aus der Sache heil herauskommen würde. Ich fand, es war an der Zeit, das Gleichgewicht zu meinen Gunsten zu verlagern. Mein schwelender Zorn schien sich genau wie die Gischt in Luft aufgelöst zu haben. Ich war erfüllt von kühler Gelassenheit und entschlossen, die nächsten Schritte in diesem Spiel anzugehen.
Zum ersten Mal hatte ich mich so gefühlt, als das 51. Regiment in Saint-Valery-en-Caux umzingelt und zur Kapitulation gezwungen worden war, da wir uns mitten unter französischen Soldaten befanden, die bereits die weiße Fahne schwenkten. Mir gelang zusammen mit vier weiteren Männern meines Trupps die Flucht. An den Klippen entlang kämpften wir uns zu einem Fischkutter durch, auf dem wir die Heimreise nach England antraten.
Das gleiche Gefühl hatte ich auch am Morgen unseres Gegenangriffs auf Rommels Heer nahe der libyschen Stadt Tobruk verspürt. Als strahlende Sonne die kalte Nachtluft der Wüste verdrängte, brannte sie mir auch alle ablenkenden, nebensächlichen Gedanken aus dem Gehirn. An ihre Stelle trat Kampfbereitschaft, die meine Haut förmlich prickeln ließ. Ich brachte meinen Zug in Stellung und sah dem Kommenden so ruhig entgegen, als handelte es sich lediglich um ein Übungsmanöver in Aldershot.
Mittlerweile betrachtete ich es als großes Geschenk, dass ich mich auf meine Reserven verlassen konnte, wenn die Zeiten der Planung vorbei und die Würfel gefallen waren. In diesem Moment auf der Düne arbeitete mein Verstand genauso reibungslos und effizient wie der Abzug der wunderbaren Dickson, die im Kofferraum des Wagens auf ihren Einsatz wartete. Und mit genauso tödlicher Zielsicherheit. Die Monate der Unentschlossenheit und Schwermut in London waren Geschichte. Auf Situationen wie diese hatte mich meine Ausbildung vorbereitet.
Um sechs Uhr früh saß ich wieder am Steuer und brauste an der Küste entlang nach Süden. An jedem anderen Tag hätte ich einfach nur die Fahrt in diesem leistungsstarken Wagen genossen, dessen Motor schnurrte wie ein Kätzchen. Elegant nahm er die Kurven und rauschte zielstrebig die grünen Hügel hinunter. Das Meer zu meiner Rechten lag so glatt und unbewegt wie eine Servierplatte vor mir.
Als die Straße eine Biegung nach Westen vollführte, rückte im Norden der walförmige Umriss von Arran ins Blickfeld. Als sie erneut Richtung Süden führte, tauchten hin und wieder die symmetrischen Granitblöcke von Ailsa Craig aus der Gischt auf. Beide Inseln hatten mich meine ganze Kindheit und Jugend hindurch begleitet, standen für lange, traumhaft schöne Picknicks in den Dünen, waren die Kulisse für ausgelassene Spiele in den flachen Meerwassertümpeln am Strand gewesen. Im Moment war mir nicht klar, ob ich sie als Omen für kommende Ereignisse werten sollte oder ob sich durch das Wiedersehen der Kreislauf meines Lebens schloss.
Weiter ging’s, die Felsküste entlang und quer durch das Städtchen Girvan, bis ich dem Wegweiser nach Stranraer folgte, denn von dort aus legte die Fähre nach Irland ab. Ich hatte Glück und erreichte den Anleger gerade noch rechtzeitig für die Abfahrt um acht Uhr. Bald darauf leistete mir ein riesiger Teller mit irischen Kartoffelpuffern, heißen Blutwurstscheiben, durchwachsenem Speck und Pilzen Gesellschaft. Abgesehen von dieser üppigen warmen Mahlzeit verlief die dreieinhalbstündige Überfahrt ereignislos. Niemand versuchte, mich über Bord zu werfen.
Gut gesättigt ging ich auf das Oberdeck, beugte mich über die Reling und sah zu, wie sich der erste Umriss der irischen Küste am Horizont abzeichnete und nicht lange danach die Gestalt grüner Hügel und einer Hafenstadt annahm. Während wir in Larne einliefen, schnippte ich den Stummel meiner letzten Zigarette ins Wasser und machte mich auf den Weg zum Unterdeck, um
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