Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
freiwillig in den Hintergrund getreten, solange auch nur die kleinste Chance bestand, sein scharfes Profil mit der Adlernase ins Scheinwerferlicht zu stellen. Seine wulstigen Lippen sonderten einen schier endlosen Strom hochtrabender Phrasen ab, darunter Dauerbrenner wie die »eingeleitete Großfahndung nach dem Mörder« oder »Wir werden jeden Stein umdrehen«. Warum die Reporter diesen Mann so vergötterten, habe ich nie begriffen. Vielleicht ließen sie sich einfach gerne von ihm verarschen.
Eine der seltsamen Launen des Schicksals in dieser göttlichen Komödie äußerte sich darin, dass Ermittler der Division East Glasgow, zu der auch mein früheres Polizeirevier in der Tobago Street gehörte, die Fahndung leiteten. In ihrem Bezirk hatte man die ersten beiden Kinder als vermisst gemeldet; auf der unmittelbar gegenüberliegenden Seite des Clyde, in den Gorbals, war Rory entführt worden. Eigenen Angaben zufolge arbeiteten diese Beamten eng mit den Einsatzkräften in der Cumberland Street zusammen. Vermutlich bedeutete das lediglich, dass beide Teams einander im Ernstfall die Schuld für mangelnde Fortschritte gegenseitig in die Schuhe schieben wollten, bei Erfolg hingegen die Lorbeeren jeweils für sich beanspruchten. Zugleich hieß es aber auch, dass die Spürhunde von der Presse es gleich mit zwei Ermittlergruppen zu tun hatten, die bereit waren, alles Mögliche zu erzählen, um Fortschritte vorzutäuschen und sich aus der Schusslinie erboster Kommentatoren zurückzuziehen.
Als sie den Leichnam schließlich fanden, suchte bereits halb Glasgow nach Rory und den anderen vermissten Jungen. Die andere Hälfte hatte sich zu Hause eingeigelt und beschützte ihre verängstigten Kinder vor dem »Monster der Gorbals« – wie die Gazette den mutmaßlich männlichen Mörder inzwischen nannte.
Auf Muncie und seinen Jungs lastete jede Menge Druck, endlich Resultate zu liefern. Deshalb musste es ihnen wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein, als ihnen der arme, körperlich und seelisch gebrochene Hugh Donovan regelrecht in den Schoß fiel. Es dauerte nur Stunden, bis sich Muncie – selbstverständlich in feierlich-ernstem Tonfall – über die bemerkenswerte Fahndung ausließ, die zur Festnahme des mutmaßlichen Täters führte. Bei ihm klang es so, als hätte man die Reihen der Ermittler in Glasgow gründlich von unfähigen Beamten gesäubert und allesamt durch erstklassige Absolventen der Polizeihochschule ersetzt – ausgestattet mit den außerordentlichen Fähigkeiten des beliebten Serienhelden Sexton Blake. Offen gesagt war das ein Haufen dahergelaberter Scheiße.
Den mutmaßlichen Täter hielt man anfangs im Polizeirevier in der Cumberland Street fest, doch er wurde schon bald in die Station in der Tobago Street verlegt, damit sich das leitende Ermittlerteam im Ruhm der Festnahme sonnen konnte. Allerdings zwang der johlende Mob, der sich vor dem Gebäude postiert hatte – Frauen mit Lockenwicklern und Kittelschürzen, die in Schlingen gelegte Wäscheleinen schwangen –, die Polizei dazu, Hugh »zu seiner eigenen Sicherheit« ins Barlinnie Prison zu überführen. Unterwegs wurde der vergitterte Polizeiwagen mit faulem Gemüse und Kieselsteinen beworfen. Wie es der Zufall wollte, gelang einem gewieften Fotografen des Daily Record ein Schnappschuss von Hughs verbranntem Gesicht. Das Klischee, hinter den Morden könne nur ein Monstrum stecken, ließ sich damit wunderbar bedienen.
Ehe die Polizei Hugh nach Barlinnie brachte, spendierte sie ihm noch einen kleinen Ausflug. Voller Stolz verkündete Muncie im Anschluss, man habe den Tatverdächtigen mit dem Schauplatz des Verbrechens konfrontiert und dadurch neue belastende Beweismittel zutage gefördert. Eine weitere Glanzleistung der Ermittler! Erklärte das vielleicht Sams Bemerkung, Hugh habe sich am Tatort ausgekannt?
Während des Prozesses tobte der schon bekannte Mob vor dem Gerichtsgebäude und forderte laut schreiend Gerechtigkeit ein, was hieß, man möge Hugh Donovan gefälligst aufknüpfen. Niemand hielt ihm seine Heldentaten während des Krieges zugute, niemand berücksichtigte zu seiner Entlastung, welche Opfer er für sein Land gebracht hatte.
Und im Gerichtssaal konstruierte der Staatsanwalt auf Grundlage des erdrückenden Beweismaterials einen glasklaren Schuldspruch. Erstaunlich war lediglich, dass die Geschworenen trotzdem drei Tage brauchten, um ein Urteil zu fällen, und dann lediglich zu einer Mehrheitsentscheidung gelangten, die für Hugh
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