Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
brachte sie die 15 Geschworenen dazu, sich näher mit Hughs Händen zu befassen, indem sie ihn anwies, sie im Gerichtssaal zu zeigen.
Ich konnte mir den Ekel angesichts der vorgestreckten verbrannten Klauen geradezu bildlich vorstellen. Als Sam ihn aufforderte, die Hände zu krümmen, sah jeder, dass er dazu nicht in der Lage war. Sie fragte ihn, ob er nach seinen Heldentaten beim Bomberkommando noch Fingerabdrücke hinterlassen könne, worauf er erwiderte, einige Fingerspitzen der rechten Hand seien nicht vollständig verbrannt. Doch es war ihm offensichtlich gar nicht möglich, ein Messer mit den Überbleibseln seiner Hände zu umklammern.
Sam verwendete einige Zeit darauf, den Geschworenen ins Gedächtnis zu rufen, wie er sich im Geschützturm des RAF-Bombers diese entsetzlichen Verletzungen zugezogen hatte.
An die Nacht vor seiner Verhaftung konnte sich Hugh überhaupt nicht mehr erinnern, er wusste nur noch, dass »Schmerzmittel« im Spiel gewesen waren – möglicherweise zu viele. Und dass er in diesem Zustand wohl gar nicht mitbekommen hätte, wenn jemand in seine Wohnung eingedrungen wäre, um dort die belastenden Beweise gegen ihn zu deponieren.
Tapferer Versuch, Sam!, dachte ich. Doch die Staatsanwaltschaft hackte trotzdem weiter auf der erdrückenden Last der Indizien und dem Geständnis herum. Hugh scheiterte mit dem Versuch, sein Geständnis offiziell zu widerrufen. Er sagte lediglich aus, er habe alles Mögliche nur deswegen erzählt, damit man ihn endlich in Ruhe ließ.
Als das gerichtsmedizinische Gutachten vorgelegt wurde, wonach der Leichnam des Jungen Spuren von Heroin aufwies, schien ein einstimmiger Schuldspruch in greifbare Nähe gerückt zu sein. Doch dann zeichnete Sam in ihrem Schlussplädoyer das Bild eines Kriegshelden, der für sein Vaterland alles aufs Spiel gesetzt hatte. Zumindest bei einigen Geschworenen musste das Zweifel an Hughs Schuld gesät haben. Ihre Worte ließen selbst mich beim Lesen nicht kalt.
Die Umstände, unter denen der Leichnam und wenig später – wie praktisch! – auch das komplette Beweismaterial aufgetaucht waren: Die Aufklärung dieses Falls war viel zu aalglatt über die Bühne gegangen, viel zu schön, um wahr zu sein. Anfangs hatte die Polizei die winzige Wohnung durchsucht und nichts gefunden. Bei der zweiten Durchsuchung war sie dann auf einen ganzen Eimer voller belastendem Material gestoßen. Wieso hätte Hugh es dorthin bringen sollen? Und warum hätte er den Leichnam in den Kohlenkeller schleppen sollen? Da es dort keine Blutspuren gab, war sonnenklar, dass der Mord an einem anderen Ort passiert sein musste. Alles roch nach einem abgekarteten Spiel. Aber wer hatte es inszeniert? Und warum? Wieso sollte es jemand auf einen verkrüppelten kleinen Junkie abgesehen haben, den man sich unmöglich mit einem Messer in den entstellten Händen vorstellen konnte. Und wie sollte er damit überall Fingerabdrücke hinterlassen?
Aber wenn nicht Hugh, wer war dann der Täter? Diese Frage diente mir als Ausgangspunkt für mein weiteres Vorgehen. Dieser Andere musste Rory außerhalb der Wohnung und des Kohlenkellers festgehalten und dort wahrscheinlich auch getötet haben. Fand ich diesen Ort, konnte auch der Mörder nicht weit sein. Es musste sich um jemanden aus Hughs Bekanntenkreis handeln, der seine Gewohnheiten kannte und über seine Heroinabhängigkeit Bescheid wusste. Also jemand hier aus Glasgow.
Vermutlich hatte derjenige – ich hielt den Täter für männlich – Hughs Hemd von der Wäscheleine gestohlen und ins Blut des ermordeten Jungen getaucht. Oder war das zu weit hergeholt? Handelte es sich um einen vorsätzlichen Mord, verbunden mit der vorsätzlichen Belastung Hugh Donovans? Konnte es einen Menschen geben, der so wahnsinnig und zugleich so berechnend war, dass er den Mord an dem Jungen bis ins kleinste Detail geplant hatte? So sorgfältig, dass er Hughs Hemd vor der Tat geklaut hatte, um es ihm später als blutbeflecktes Belastungsmaterial unterjubeln zu können?
Der Mörder konnte das Kleidungsstück jedenfalls nicht im Nachhinein entwendet haben, denn das Blut des Opfers war binnen weniger Stunden geronnen und getrocknet. Wie hätte der Mörder nach verübter Tat außerdem sicher sein können, ein perfektes Beweisstück, das Hugh eindeutig die Schuld zuschob, aufzutreiben – sogar noch mit eingenähtem Namensschild? Waren vielleicht zwei Täter am Werk gewesen? Oder hatte womöglich die Polizei, dein Freund und Helfer, gezielt
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