Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
verschwand die nüchterne Rechtsanwältin. Es war kein kühles Abwägen im Spiel, auch keine sorgfältige Vorbereitung und glatte Darstellung ihrer Position im vorliegenden »Fall«. Eher erfüllten wir beide in unserer Geilheit den Tatbestand der tätlichen Beleidigung. Wir fielen so gewaltsam wie Kriminelle übereinander her, ließen den ganzen angestauten Frust nach draußen, ergriffen gnadenlos Besitz vom Körper des anderen. Dabei verletzten wir uns gegenseitig, traktierten uns mit Fäusten und bissen einander.
Hinterher dösten wir ein, wachten jedoch mitten in der Nacht, es war noch dunkel, wieder auf. Diesmal gingen wir zärtlich und entspannt miteinander um. Voller Lust drang ich in sie ein. Beide nahmen wir diesmal Rücksicht auf die Bedürfnisse des Gegenübers – als wären wir tatsächlich ein Liebespaar.
32
Erschrocken und mit schlechtem Gewissen fuhren wir wie arme Sünder gegen neun Uhr aus dem Schlaf hoch. Nicht wegen dem, was wir miteinander angestellt hatten, sondern weil wir die Hinrichtung eine Stunde früher schlicht verschlafen hatten. Sexuell befriedigt hatten wir selig vor uns hingeschlummert, während das Leben eines anderen Menschen ausgelöscht wurde. Sofort streifte Sam ihr Nachthemd und den Morgenmantel über und eilte nach unten, wo ich sie telefonieren hörte. Gleich darauf kehrte sie zurück und blieb an der Schlafzimmertür stehen. Ich saß mittlerweile auf dem Bettrand, rauchte und sah dabei aus dem Fenster.
»Es ist vollbracht«, sagte sie.
Ich nickte.
»Ich zieh mich jetzt an.« Sie ging in ihr Zimmer und ließ sich danach ein Bad einlaufen, während ich weiter nach draußen starrte. Die Bäume leuchteten in üppigem Grün, gut gewässert von den schottischen Regenschauern. Schau jede Stunde, als wäre es deine letzte, auf alles Wunderbare ringsum. Ich glaube, das stammte aus einem Gedicht von Wordsworth. Oder war es de la Mare? Vor einer Stunde, als wir noch schliefen, hatte Hugh wohl lediglich karge Gefängnismauern und Gitterstäbe vor sich gesehen. Und dann waren sie vermutlich mit der schwarzen Kapuze und den Lederriemen angerückt, um ihm vor seinem letzten kurzen Spaziergang die Arme zu fesseln.
Wer hatte ihm nun, da Pater Cassidy ihm vorausgegangen war – wie Hugh es ausgedrückt hätte – die letzte Beichte abgenommen? Zweifelte er in seinen letzten Stunden an Gottes Gnade? Ich hoffte, dass ihn das, was ihm noch von seinem Glauben geblieben war, bis zum Ende und auf die andere Seite getragen hatte. Und dass ihn dort anschließend ein großer Mann in blendendem Weiß empfing und sagte: Jetzt ist alles gut. Vergiss alle Sorgen. Schau mal, da drüben wartet dein Sohn auf dich. Nur glaubte ich selbst nicht recht daran. Und wie man Hughs Geschichte auch betrachtete, ob als Gläubiger oder Atheist: Das letzte Kapitel seiner Lebensgeschichte konnte man nur als überaus bitter bezeichnen.
Als Erwachsener hatte er ein zutiefst unglückliches Leben geführt. Ich dachte an unsere Kindheit zurück, an die wilden Zeiten, in denen wir in den Grünanlagen hinter den Häusern herumgetobt hatten, als gäbe es kein Morgen. Hätte Hugh sein Ende damals vorausahnen können, hätte er sich wohl vor einen Zug geworfen. Und ich wäre vermutlich mit von der Partie gewesen.
Während ich die letzten Wochen Revue passieren ließ, machte ich mir Vorwürfe, nicht genügend unternommen zu haben und nicht klug genug vorgegangen zu sein. Mich plagten Gewissensbisse, weil ich in London seit dem letzten November nur in Selbstmitleid gebadet hatte. Statt die Zeit mit der Flasche am Mund zu verplempern, wäre ich besser sofort nach Kilmarnock zurückgekehrt. Vielleicht hätte ich dann von Hughs Fall gehört und mehr für ihn tun können.
Aber stimmte das? Oder wäre nicht weiterhin das Hegen und Pflegen meines Grolls, weil Hugh mir Fiona genommen hatte, bestimmend gewesen? Als wäre meine jugendliche Verliebtheit so einzigartig – kostbarer und bedeutender als alles andere! Ich hatte mein Leben zu sehr davon bestimmen lassen. Der Verrat von Hugh und Fiona – wie melodramatisch das klang! – war vermutlich der Auslöser dafür gewesen, mich endlich auf den Hosenboden zu setzen, für meine Abschlussprüfungen zu pauken und für das Studium nach Glasgow zu gehen. Einfach, um Abstand zu den beiden zu bekommen.
Ich dachte auch an Fionas gestrigen Besuch bei Hugh. Ich hoffte, dass sie lieb miteinander umgegangen waren. Dass sie voller Kummer über ihren gemeinsamen Sohn und ihre kurze zusammen
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