Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
eingefädelt. Oder bei einem Glas Scotch in den Clubs von Glasgow und Edinburgh gemauschelt.«
»Ach so, deshalb übst du dich so fleißig im Trinken.« Ich nickte zu den Whiskygläsern auf der Anrichte hinüber.
»Nein, das dient nur meiner Gesundheit. In diesen Clubs sind Frauen nämlich gar nicht zugelassen. Eher könnte ich Papst werden. Ist schon ein Wunder, dass man überhaupt an mich gedacht hat. Und erst recht, dass man mir die Pflichtverteidigung in einem Mordfall überließ.«
»Liegt’s vielleicht am guten Ruf deines Vaters?«
»Das ist der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann. Ich bin ja wirklich keine juristische Überfliegerin.«
»Doch, in meinen Augen schon, aber in diesem Spiel braucht man wohl mehr als Talent, um beruflich voranzukommen. Und trotz allem haben sie dir nicht unbedingt einen Gefallen damit getan, dir den Fall Donovan zu überlassen. Also gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste: Jemand war der Ansicht, dass man dir schon in Anbetracht der erdrückenden Beweislast kaum die Schuld geben kann, falls Hugh schuldig gesprochen wird. Dieser Jemand glaubte, dass du nichts zu verlieren hast und als mutige kleine Strafverteidigerin in den Köpfen bleiben wirst. Deine Beauftragung war als eine Art Ehrenbezeugung für deinen Vater gedacht.«
»Und die zweite Möglichkeit?«
»Jemand wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass das Gericht Hugh freispricht.«
Sams Gesicht lief rot an. »Und deshalb hat man den Fall lieber einer inkompetenten Frau anvertraut, was?«
»Quatsch, das ist doch nicht meine Einschätzung! Und ich hab nicht vor, dir noch mehr Honig ums Maul zu schmieren, als ich es bereits getan habe. Du bist wunderbar, und das weißt du auch. Und darüber hinaus auch keine schlechte Anwältin.« Ich grinste.
Sie warf mir das Geschirrhandtuch an den Kopf. »Du Chauvi!«
»Sam, kannst du herausfinden, wer dich ursprünglich vorgeschlagen hat? Wenn wir das erfahren, kennen wir vielleicht auch den Grund.«
Sie starrte in ihre Teetasse, als wollte sie aus den Teeblättern ihre Zukunft lesen. »Das hätte ich schon früher tun sollen, stimmt’s? Aber ich wollte es gar nicht so genau wissen, Brodie. Wollte einfach glauben, dass ich ausreichend qualifiziert bin, und meinen Vater nachträglich stolz machen kann. Verstehst du das?«
»Nur zu gut.«
»Ich rufe ein paar Leute an. Wird höchste Zeit, dass ich meine beruflichen Kontakte besser pflege. Und was hast du vor?«
»Ich geh zur Bank, brauche ein bisschen Bares.« Der Gedanke daran machte mir schwer zu schaffen. Nicht nur, weil ich meine mageren Ersparnisse antasten musste, sondern auch wegen des unsäglichen bürokratischen Aufwands, den es verursachen würde, einen Scheck bei einem anderen Kreditinstitut als bei meiner Hausbank im fernen London einzulösen.
»Ich kann dir helfen. Du kannst immer noch auf Rechnung der Pflichtverteidigung arbeiten. Das zahlt die öffentliche Hand.«
»Du bist sowieso schon mehr als großzügig gewesen. Aber meiner Meinung nach ist dieser Fall erledigt. Jetzt wird die Sache persönlich. Allerdings wäre es schön, wenn ich noch eine Woche oder zwei bei dir wohnen könnte. Geht das?«
Sie wurde ein bisschen rot. »Kein Problem, Brodie. Du kannst dein bisheriges Zimmer so lange nutzen, wie du’s brauchst.« Damit wollte sie wohl auch zum Ausdruck bringen, dass zwischen uns jetzt wieder die früheren Abmachungen galten – die vor der gemeinsamen Nacht.
»Kannst du mir etwas Schreibpapier geben?«
Sie kramte in ihrer Aktentasche, die auf der Ablage des Büffetschranks lag, und warf mir einen linierten Kanzleiblock zu. Außerdem holte sie einen Drehbleistift und ein Radiergummi aus der Schublade und reichte mir beides.
Ich skizzierte fünf Kreise, schrieb in jeden davon einen Namen und zeigte ihr das Blatt. »Ich muss herausfinden, was den verstorbenen Pater Cassidy, Hugh Donovan, die Glasgower Polizei, Mrs. Reid und die Slatterys miteinander verbindet.«
»Du glaubst also, dass auch die Polizei mit drinsteckt?«
»Ich weiß, dass die Polizei unfähig ist. Aber nicht nur das: Meine Exkollegen sind auch arrogant und starrköpfig. Lieber würden sie eine Strafe in Barlinnie absitzen, als freiwillig zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Manche von ihnen kassieren sicher auch Schmiergeld, um beim blühenden Drogenhandel in der Stadt ein Auge oder zwei zuzudrücken. Aber das erklärt noch lange nicht die skandalöse Tatenlosigkeit bei den Morden an Pater Cassidy und Mrs. Reid.
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