Galgeninsel
Landeskriminalamt abgeben, oder?«
»Du willst doch, dass was rauskommt, oder?«, grinste er.
Während sich beide still ihren Arbeiten widmeten, stauten sich an den geschlossenen Bahnschranken vor der Insel Autos und Busse in langen Kolonnen. Trotz des trüben, windigen Wetters drängten sich Einheimische, Insulaner und Feriengäste in den engen Gassen der Lindauer Altstadt. Ohne Absicht erzeugten sie allein durch die Art und Weise ihrer Gegenwart jenes gedeihliche Miteinander, das Ferienorten eigen sein sollte.
Ein schweizerischer Schnellzug fuhr langsam über den Bahndamm, hinüber zur Insel. Die Fahrgäste genossen den Blick über die leidlich aufgebrachten Wasser des Bodensees, hinüber zum Schachener Ufer, auf stolze Villen und auf die prächtige Silhouette des Hotels Bad Schachen mit seiner märchenhaften Ausstrahlung.
Als der Zug mit ächzendem Kreischen endlich zum Stehen gekommen war und die Türen sich mit lautem Zischen öffneten, stieg ein Mann bedächtig die zwei Stufen zum Bahnsteig hinunter. Er achtete darauf, seinen dunklen Trenchcoat nicht über die Waggonstufen schleifen zu lassen und richtete seinen Hut. Mit einer bereits zur Eigenart gewordenen Bewegung der rechten Hand fühlte er nach der Brieftasche, die sich in der linken Brusttasche des Jacketts befinden musste. Er wirkte wie ein stiller Fels zwischen all den aufgeregten Begrüßungsritualen, freudigen Rufen, herzlichen und höflichen Umarmungen. Als er sich der Existenz dessen, was ihm wichtig war, versichert hatte, ging er zur Bahnhofshalle, durchquerte sie, ohne von ihrer vergilbten Schönheit etwas wahrzunehmen, und wechselte die paar Meter hinüber, ins Foyer des Hotels Bayerischer Hof. An der Rezeption wurde er freundlich begrüßt, seine Reservierung der Suite, mit Balkon und Hafenblick, war am Vortag bereits erfolgt. Als der Page die Tür, zufrieden über den Frankenschein, den er in seiner Hand hielt, hinter sich geschlossen hatte, holte Kafelnikov die kleine Wodkaflasche aus der Reisetasche und nahm einen kräftigen Schluck. Danach setzte er sich hinaus auf den Balkon und sah auf die filmreife Kulisse des Hafens mit Leuchtturm, Bayerischem Löwen und der Kette schneebedeckter Berge. Er wurde ein wenig wehmütig, erinnerte ihn dieser Blick doch an die Landschaft seiner Heimat, dem Ural. Als er den sentimentalen Anflug überwunden hatte, ging er zurück ins Zimmer, öffnete den dünnen Aktenkoffer und strich fast zärtlich über das Metall, bevor er die Waffe herausnahm. Der Schalldämpfer war schnell aufgeschraubt. Als diese Arbeit erledigt war folgte ein weiterer Schluck, wonach er endlich das Kuvert öffnete und mit dem Inhalt abermals den Balkon aufsuchte. Vier Farbfotos hielt er in Händen und zwei Packen Euroscheine. Hunderter und Zweihunderter. Es war zwar nicht erforderlich, aber er war in dieser Hinsicht altmodisch. Einen Teil des Geldes wollte er immer als cash. Alle Tätigkeiten verrichtete er langsam und überlegt. Als hätte er jede einzelne Bewegung vorher einstudiert.
Auf den Fotos fand er das Gesicht eines Mannes, hager und hart, mit engen Augen. Ein weiteres Bild zeigte ihn ganz, neben ihm eine Frau. Die schlanke Figur und die schwarzen Haare gefielen Kafelnikov. Auf dem nächsten Foto war der Eingang zu einem älteren Gebäude zu sehen und auf dem letzten Bild schließlich ein Auto. Kafelnikov grinste, als er die schwarze Karosse sah. Eigentlich war der Typ ihm sympathisch. Er mochte den gleichen Typ – Frauen wie Autos.
Auf dem ersten Bild hatte jemand mit Schreibmaschine in kyrillischen Buchstaben Namen, Vornamen und Adresse getippt. Sehr ordentliche Arbeit.
Auch er wollte ordentliche Arbeit verrichten. Wie immer.
Nach einem dritten Schluck Wodka ging er duschen und machte sich anschließend auf den Weg. Er musste eine geeignete Stelle finden. Zuerst spazierte er am Bahnhof vorbei, direkt auf einen gelbfarbenen Bau zu, in dem sich Gotik und Renaissance begegneten. Kafelnikov entdeckte links dahinter eine Brücke. Er stieg die breiten Stufen empor und querte die Eisenbahngleise.
Irgendwo am Ufer sollte es sein. Rechts sah er einen riesigen Parkplatz, daher wandte er sich nach links, marschierte zwischen zwei modernen Gebäuden hindurch in Richtung See. Er konnte nicht wissen, dass hinter den Mauern rechts von ihm eine junge Frau gerade größere Brüste erhielt, während einen Stock tiefer der Hintern eines verblühten Playboys gestrafft wurde. Die Dralle mit den kurzen braunen Haaren, die ihm
Weitere Kostenlose Bücher