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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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fragte Hella mit ungewohnt zaghafter Stimme.
    Die Wahrsagerin sah ihr fest in die Augen. «Mittel für die Liebe habe ich. Ist es das, was Ihr meint? Ist der Eure etwas lahm in den Lenden?»
    «Wie kommst du darauf?», fuhr Hella sie an. «Der Meine ist nicht lahm in den Lenden. Es ist nur, dass wir so lange schon auf Kinder warten.»
    «Ansonsten trinkt Rotwein. Schlagt ein Eigelb hinein und rührt kräftig um. Das Rezept habe ich von meiner Mutter. Es hat schon vielen geholfen.»
    Hella nickte, bedankte sich, griff zu ihrer ledernen Geldbörse, die sie am Gürtel trug, und gab der Frau drei Groschen.
    «Danke, Herrin. Gott möge Euch hüten und schützen.» Die Wahrsagerin steckte das Geld unter ihr Brusttuch undwartete darauf, dass Hella sich erhob und den Platz verließ, doch Hella dachte gar nicht daran.
    «Jetzt weißt du so viel über mich. Ich jedoch weiß nichts über dich. Dabei hieltest du meine Zukunft in den Händen!»
    Die Wahrsagerin blickte Hella irritiert an. Sie war es nicht gewohnt, nach sich selbst gefragt zu werden, das sah man ihr an.
    «Was wollt Ihr denn wissen?», fragte sie schließlich zögernd.
    «Ach, dies und das. Wie das so ist, wenn ihr auf Reisen seid. Wie es in Spanien zugeht? Ob ihr mit Federbetten schlaft wie die Menschen in der Stadt. Wo ihr die Kleidung einkauft.»
    Die Wahrsagerin lachte. «Nein, wir schlafen auf Fellen. Unsere Kleidung ist aus Tierhäuten. Wir haben sie aus Spanien mitgebracht, aus Córdoba.»
    «Oh, Kleidung aus Leder. Wie ungewöhnlich!»
    «Da wir oft unterwegs sind, haben wir nicht immer Gelegenheit, unsere Kleidung zu waschen. Außerdem brauchen wir Sachen, die nicht so schnell verschleißen. Manchmal übernachten wir im Freien, sind Regen und Stürmen, Eis und Schnee ausgesetzt.»
    «Das verstehe ich gut», erwiderte Hella. Dann wies sie auf den Rock der Wahrsagerin. «Dieser da ist jedoch aus Stoff.»
    Die Wahrsagerin lachte. «Natürlich ist er das. Es ist warm, und Stoff ist nun einmal weicher als Leder. Wir Frauen tragen lederne Umhänge im Winter. Die Männer dagegen sind ganz verrückt danach.»
    Jetzt lachten beide Frauen, dann winkte Hella der Wahrsagerin zu und ging langsam und nachdenklich, aber imtiefsten Inneren friedlich gestimmt durch die Aussicht auf zwei Kinder zu ihrer Mutter und der Geldwechslerin.
    «Na, was bringt dir die Zukunft?», fragte Gustelies zwar, aber sie wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich wieder an Tom und fragte mit lieblicher Stimme: «Da bist du viel herumgekommen? Warst du auch da, wo die Menschen ganz schwarz sein sollen?»
    Tom sah Gustelies einen Augenblick länger als nötig in die Augen, ehe er erwiderte: «Nicht nur schwarze Menschen habe ich gesehen, ich traf auch auf Löwen und Elefanten. Tiere, die groß sind wie ein Haus und die Kraft von fünfzig Pferden haben. Ein einziger Schlag mit dem langen Rüssel des Elefanten kann Menschen töten.»
    Der Mann mit dem Schellenkranz stellte sich Hella vor. Sie lachte, als bekannt wurde, dass er Helfried hieß. Hella und Helfried.
    Er war ebenfalls ein gutaussehender Mann, jedoch erst auf den zweiten Blick. Hella fragte ihn nach diesem und jenem und beobachtete dabei, dass sein Gesichtsausdruck beständig wechselte. Erzählte Helfried von fremden Städten, begannen seine Augen zu leuchten. Sprach er jedoch von den harten Wintern auf der Landstraße, überzog ein Anflug von Angst sein Gesicht.
    Da Gustelies keinerlei Anstalten machte, Tom auszufragen, sondern nur mit schmachtenden Blicken seinen Räubergeschichten lauschte und ihm ein um das andere Stück Kuchen zuschob, wollte wenigstens Hella die Morde nicht vergessen.
    «Sagt», bat sie. «Wie lange seid ihr schon in unserer Stadt?»
    «Zehn Tage», erwiderte Helfried. «Die Menschen hier sind freundlich. Nicht für alle sind wir Ehrlose. Wir sinddabei, unsere Wagen in Ordnung zu bringen. Hat der Sommer erst richtig begonnen, müssen wir durch die Lande ziehen und haben keine Zeit für Reparaturen.»
    «Reparaturen, ja. Begegnet ihr vielen Leuten auf den Straßen? Kommt ihr mit ihnen ins Gespräch?»
    «Die Straßen sind voller Menschen. Aber wir reden meist nur mit denen, die ebenso arm und geächtet sind wie wir. Mit den Wanderhuren zum Beispiel, den entlaufenen Söldnern, den fahrenden Schülern und manchmal mit den Bettelmönchen.»
    Ohne es zu wissen, hatte Helfried Hella das Stichwort gegeben.
    «Wanderhuren. Die armen Frauen. Es muss ein hartes Los sein, sich sein Geld am Straßenrand zu

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