Galgentochter
etwa eifersüchtig?»
«Auf einen Gaukler? Im Leben nicht!»
«Helfried ist kein Gaukler», erwiderte Hella ein wenig gekränkt. «Helfried ist ein Musiker, der seine Lieder selber schreibt. Ein Künstler ist er. Jawohl.»
«Also gut. Ein Künstler. Ein Hungerkünstler wohl eher. Wusste der Künstler wenigstens Neuigkeiten, die uns bei den Morden voranbringen?»
«Die Wanderhure war für eine Nacht bei ihnen. Aber nicht, was du denkst. Am Straßenrand haben sie sie aufgelesen. Sie hatte auf dem gefrorenen Boden gelegen, nur mit ein wenig altem Laub bedeckt. Die Gaukler haben sich ihrer erbarmt.»
«Und weiter?»
«Bis Frankfurt ist sie mit ihnen gefahren. Sie hat erzählt, ihre Tochter lebe dort, habe ein kleines Häuschen. Zu ihr wollte sie und es endlich einmal warm und friedlich haben.»
«Aha. Was noch?»
«Nichts weiter. Das ist alles. Und ich finde, es ist reichlich viel.»
«Für einen Künstler vielleicht, für einen Richter nicht», bemerkte Heinz ungewohnt bissig. Doch als er sah, dass Hella sich von ihm abwandte und zur anderen Bettseite drehte, beugte er sich über sie und verzärtelte sie so lange, bis sie ihm wieder gut war. Dann fragte er weiter. «Vom Gewandschneider hat er nichts gewusst? Und vom Lutherischen?»
«Nein», erwiderte Hella. «Er hat gesagt, er erfahre nicht viel von dem, was sich tagsüber in und zwischen ihren Wagen zuträgt. Er komponiert. Wir sollten Tom oder besser noch die Wahrsagerin fragen.»
«Ihr wollt also noch einmal zu den Gauklern gehen?»
«Aber ja, Heinz. Wir müssen. Es ist eine der wenigenMöglichkeiten, mit Leuten zu sprechen, die vielleicht alle drei Opfer gekannt haben.»
«Und am Ende die Mörder sind!»
«Ja», sagte Hella sehr leise. «Auch das kann sein. Selbst wenn ich es mir nicht vorstellen kann.»
«Die wenigsten Mörder sehen so aus, wie wir uns Mörder vorstellen. Fest steht aber, dass die Gaukler alle drei Toten gekannt haben könnten und dass sie Bekleidung aus Leder tragen. Und mindestens zwei der Toten könnten mit einem Ding aus Leder erstickt worden sein.»
«Was hast du unterdessen in Erfahrung gebracht? Welche Zeugen hast du befragt?»
Heinz räusperte sich. «Du weißt, dass ich darüber nicht sprechen darf.»
«Ja, ja. Also: Was weißt du?»
«Noch viel weniger als du, fürchte ich. Die Haushälterin des Lutherischen habe ich kommen lassen.»
«Weiter!»
«Sie hat erst seit kurzem bei ihm gelebt. Ein guter und gerechter Mann und Pfarrer sei er gewesen. Kein schlechtes Wort könne sie über ihn sagen. Sie hat ihn gelobt über den grünen Klee, doch ihre Augen waren klar und rein. Ganz so, als hätte sie nicht geweint um ihn.»
«Hast du sie gefragt, was er in den letzten Tagen gemacht hat?»
«Am Vorabend seines Todes sei er zu jemandem gerufen worden, der todkrank war und seine letzten Stunden nicht ohne christlichen Beistand verbringen wollte. Von dort ist er nicht zurückgekehrt.»
«Weißt du auch», fragte Hella, «wer der Todkranke war?»
«Nein, das weiß ich nicht. Den Henker habe ich beauftragt,herauszufinden, wer in Sachsenhausen in den letzten drei Tagen verstorben ist. Er muss es wissen, schließlich befehligt er den Stöcker, und dieser wiederum ist dafür zuständig, dass die Leichen begraben werden. Morgen erwarte ich eine Antwort von ihm.»
«Hatte der Lutherische Feinde?»
«Nicht mehr als die anderen Lutherischen auch. Beim Pöbel sind sie beliebt, den Klöstern ein Gräuel und dem Stadtrat gleichgültig.»
«Gut, dann werde ich also mit Gustelies morgen wieder zu den Gauklern gehen.»
Die Sonne war gerade aus dem Schlaf erwacht und hatte die Hügel des Taunus bestiegen, als Hella sich bereits auf dem Weg zu ihrer Mutter befand. Sie lief die Fahrgasse hinauf, bog in die Töngesgasse ein und bewältigte den kleinen Anstieg in der Krämergasse bis zur Liebfrauenkirche. In der Krämergasse waren die Händler gerade dabei, ihre Waren auf den unteren Fensterbrettern zum Verkauf auszustellen. Lehrlinge eilten hin und her, Frauen lüfteten die Betten und unterhielten sich lauthals über die Straße hinweg mit den Nachbarinnen. Mägde kamen mit vollen Wassereimern vom Brunnen, aus einem offenen Fenster drang der Gesang einer Küchenmagd, aus einem anderen hörte man Flüche.
Es war noch kühl an diesem Aprilmorgen, und Hella fröstelte in ihrem leichten Umhang. Erst als sie in Gustelies’ Küche saß und einen mit Honig gesüßten Tee trank, wurde ihr wieder warm.
Gustelies hatte noch immer rote
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