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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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weißt, wie man den Saft herstellt, nicht wahr?»
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Nicht genau. Ich weiß nur, wie man den Saft gewinnt. Über die Herstellung der Tinktur weiß ich nichts.»
    Jetzt wurde Sebastians Gesicht ernst, verlor alles Lachen, alle Zärtlichkeit. «Ich nehme dich mit in die Stadt, wenn du mir von dem Saft bringst.»
    «Für immer und als deine Frau?», fragte das Mädchen.
    Sebastians Gesicht versperrte sich plötzlich wie eine Kellertür. «Was denkst du dir?», fragte er.
    Sie lächelte. «Ich denke, dass wir es gut miteinander hätten, du und ich.»
    «Bring mir den Saft, dann sehen wir weiter», sagte Sebastian. Dann stand er auf, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Dieses Mal wandte er sich nicht um, um dem Mädchen zu winken.
    «Morgen nach Einbruch der Dunkelheit am Hafen», rief ihm das Mädchen hinterher. «Komme nicht zu mir. Ich werde in die Stadt kommen.» Noch immer hoffte sie, er würde sich umdrehen und ihr winken, doch Sebastian war schon hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.
    Traurig ließ sie sich im Gras nieder. Eben noch war sie dem Himmel so nahe gewesen, dass sie geglaubt hatte, das Rad der Sonne mit den Händen greifen zu können. Doch nun war alles dunkel in ihr, das Glück meilenweit entfernt. Ihr Blick fiel auf die drei Küchlein, welche Sebastian dagelassen hatte. Sie nahm eines, roch daran, betrachtete es, wie man ein seltenes Tier betrachtet, dann biss sie davon ab, schlang es in sich hinein, nahm das nächste, stopfte es sich in den Mund. Sie hatte den letzten Bissen noch nicht ganz zerkaut, da wurde der Himmel wieder blauer, die Vögel sangen lauter, und inmitten des Blaus erschien die Sonne wie ein riesiges Rad, das nur darauf wartete, von demMädchen gedreht zu werden. Plötzlich stand das Rad in Flammen, dann brannten die Flammen auch im Inneren des Mädchens, verbrannten zu einem undurchdringlichen Schwarz, welches sie ganz und gar einhüllte.
    «Kotz! Los, streng dich an!», hörte sie wie aus weiter Ferne die Stimme der Hebamme. Das Mädchen versuchte die Augen zu öffnen, doch ihr war so übel, ihre Sinne so vernebelt, dass sie es nicht vermochte.
    Sie spürte, wie jemand an ihren Armen riss, ihr ins Gesicht schlug, doch alles nur wie aus weiter Ferne. Sie wollte schlafen, wollte sich in die Dunkelheit schmiegen wie in ein weiches Kissen. Doch irgendjemand ließ sie nicht. Irgendwer zerrte sie hoch, presste ihr die Kiefer auseinander, kitzelte sie mit einer Feder im Rachen. Das Mädchen würgte, erbrach sich schließlich in einem Schwall. Sie wollte zurück in die weiche Dunkelheit, aber sie wurde auf die Füße gezerrt, jemand packte sie am Oberarm, zerrte sie hin und her. Jetzt hörte sie auch, was die Stimme, die sie als die der Hebamme erkannte, zu ihr sagte: «Geh im Kreis herum, immer im Kreis. Schön gehen. Einen Fuß vor den anderen setzen. Ja, so ist es gut. So ist es fein.»
    Dann hielt sie ihr einen Krug mit Wasser an die Lippen. Das Mädchen versuchte zu schlucken, denn ihr Mund war ganz trocken. Staubig beinahe fühlte er sich an, die Zunge ein trockner, übelschmeckender Lappen. Doch das Wasser rann ihr über das Kinn hinab.
    «Langsam», sagte die Hebamme. «Du musst ganz langsam trinken.»
    Das Mädchen mühte sich. Es wollte die Trockenheit loswerden, wollte die spröden Lippen benetzen. Endlich gelang es ihr. Sie schluckte gierig.
    «Langsam, ganz langsam», hörte sie die Hebamme. Endlichfloss das Wasser in ihren Mund, endlich konnte sie schlucken, die geschwollene Zunge benetzen.
    Sie wollte nicht im Kreis umhergehen, sondern sich sinken lassen, zurückkehren in die Dunkelheit, jetzt, wo ihr Durst gestillt war, doch die Hebamme zerrte an ihr, stieß ihr von hinten in die Knie, sodass das Mädchen einknickte. Gleich wurde sie wieder emporgezerrt, weitergestoßen. «Lauf, Mädchen, lauf.»
    Es schien ihr, als wäre sie meilenweit gelaufen, als ihre Umgebung plötzlich wieder sichtbar wurde. Die Dunkelheit wich zurück, das Gesicht der Hebamme drang als Schemen hervor.
    Das Mädchen sah sie an, fragte: «Wo bin ich?»
    «Gott sei Dank», erwiderte die Hebamme, und das Mädchen sah, wie sie sich bekreuzigte.
    «Im Wald bist du. Als es Nacht wurde und du nicht nach Hause kamst, habe ich dich gesucht. Der Schlafmohn hat dir den Geist vernebelt, der Tod hockte schon auf deiner Schulter.»
    «Es ist Nacht?»
    «Bald graut schon der Morgen. Es hat lange gedauert, bis du zu dir gekommen bist.»
    Das Mädchen schwieg,

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