Galgentochter

Mann oder Weib – sein könnte, die alle drei Opfer kannte und getötet hat. In welcher Beziehung standen die Opfer zueinander? Schick noch einmal jemanden zur Gewandschneiderei Voss. Fragen soll er, ob die Vossens lutherisch oder altgläubig sind. Wir müssen noch mehr über das Leben der Toten herausfinden. Vom Pfarrer wissen wir zum Beispiel fast gar nichts. Was war er, bevor er lutherisch wurde? Ein Mönch vielleicht? Stammt er aus der Stadt, oder ist er ein Zugezogener? Wie hat es ihn in die Vorstadt verschlagen? Wie lange lebte er dort? Wie lebte er, bevor die Haushälterin zu ihm kam? Es gibt so viele Fragen, Heinz, die noch geklärt werden müssen.»
    Heinz Blettner richtete sich kerzengerade auf. «Ich war heute Morgen höchstselbst in der Vorstadt. Der Lutherische kam aus dem Sächsischen. Er war ein Anhänger Martin Luthers und ist ausgezogen, dessen Lehre zu verbreiten. Ein Doktor der Theologie soll er sogar gewesen sein. Aber niemand wusste Genaueres über ihn, alles nur Gerüchte. Ein stiller Mann, der selten lachte und selten wütete, soll er gewesen sein. Ausgeglichen, gottesfürchtig. Mehr nicht. Nur ein Fischer berichtete von einer sehr jungen Frau, die im letzten Winter bei ihm gearbeitet haben soll. Doch außer ihm wusste niemand etwas über sie.»
    «Das ist nicht viel. Wirklich nicht», stellte Hella gerade betrübt fest, als plötzlich die Tür der Ratsschenke aufgerissen wurde und Gustelies hereinstürmte. Sie erntete nicht minder entsetzte Blicke als Hella, doch setzte sie sich ungerührt,griff nach dem Becher und stürzte den verdünnten Wein in einem Zug herunter. Dann sagte sie: «Stellt euch vor, ich weiß jemanden, der alle drei Opfer gekannt haben könnte.»
    «WER?», fragten Hella und Heinz wie aus einem Mund.
    «Eine junge Frau, die Küchenkräuter verkauft. Ich habe sie bei den Gauklern gesehen. Ganz harmlos stand sie da mit ihrem Korb voller Kresse und Petersilie, junger Brennnesseln und Bärlauch. Dann aber verschwand sie mit der Wahrsagerin in einem der Wagen. Ich sagte, dass ich mal dorthin müsste, wo der Kaiser zu Fuß hingeht, schlich mich zu dem Wagen und lauschte. Die junge Frau verkaufte an die Wahrsagerin Liebestränke. Und nicht nur das. Ich hörte ganz deutlich, wie die Wahrsagerin nach einem Trank vom Schwarzen Bilsenkraut fragte. Die Kräuterfrau zierte sich erst ein wenig, aber nach einer Weile sagte sie zu, morgen Vormittag den Trank zu bringen.»
    Hella zuckte mit den Achseln. «Was heißt das schon? Dass ein Kräuterweib, welches auch in der Stadt umhergeht, die Gaukler ebenfalls mit Kräutern versorgt. Die Herstellung von Tränken und Pulvern aus Bilsenkraut ist nur den Apothekern erlaubt, aber wer will das schon kontrollieren. Das beweist gar nichts.»
    «Nein, nein», widersprach Heinz. «Was Gustelies da gehört hat, ist wichtig. Eine junge Frau, die Kräuter und Rauschmittel herstellt, könnte wahrhaftig mit jedem der drei Toten Kontakt gehabt haben. Wir sollten uns einmal mit ihr unterhalten.»
    «Wir?», fragte Hella. «Was heißt wir? Du meinst sicher, dass Gustelies und ich zu ihr in die Vorstadt gehen sollen, nach Kräutern fragen und dabei ganz unauffällig alles in Erfahrung bringen, was dir und dem Fall dient.»
    «Genau.» Heinz strahlte.
    Gustelies aber fügte an Hella gewandt hinzu: «Hast du nicht gemerkt, dass die junge Frau   – Agnes ist ihr Name – dich absichtlich vor den Gauklern bloßgestellt hat? Sie wollte, dass du gehst. Und sie hat es erreicht. Ich möchte wissen, warum.»
    «Und ich», teilte Heinz mit und machte Anstalten aufzustehen, «werde die Büttel zu den Gauklern schicken.»
    «Wieso das?», fragte Gustelies erschrocken.
    «Ich werde sie verhören. Sie sind verdächtig, kannten zwei der Toten und haben Leder.»
    «Ja, schon, aber doch keinen Grund für die Morde.»
    «Das, liebe Schwiegermutter, werde ich herausfinden. Ich werde sie so lange verhören, bis ich weiß, was ich wissen muss. Wenn es nottut, werde ich sie sogar ins Verlies bringen. Denn an ihre Unschuld glaube ich nicht. Schon manch einer wurde getötet, weil er etwas gesehen hatte, was ihm besser verborgen geblieben wäre. Liebestränke zum Beispiel oder Mittel zur Verhütung. Wie heißt gleich das Zeug, welches unter Strafe steht, aber doch immer wieder von den Kräuterweibern und Wahrsagerinnen benutzt wird?»
    «Gartenraute», flüsterte Gustelies.
    «Gartenraute, aha, das war es», stimmte Heinz Blettner zu. «Könnte die alte Hure nicht vielleicht daran