Galgentochter
nach Hellas Schienbein. Die junge Frau verstand und zwinkerte ihrer Mutter zu.
Am nächsten Morgen, Hella wollte sich gerade auf den Weg zu ihrer Mutter machen, klopfte es an der Tür. Ein junges Mädchen stand vor der Tür. «Kerbel bringe ich Euch», sagte sie. «Habe gehört, dass Ihr welchen braucht.»
«Woher weißt du das?», fragte Hella. «Wer bist du überhaupt? Ich habe dich noch nie gesehen.»
«Aus der Vorstadt komme ich», erklärte das Mädchen. «Ich verkaufe Kräuter, um Brot zu kaufen und ein bisschen Speck. Der Torwächter sagte mir, dass Ihr Kerbel braucht. Deshalb bin ich hier.»
Sie hatte bisher den Blick zu Boden gerichtet, doch jetzt sah sie auf und schaute Hella direkt an: «Ich kann Euch immer frische Kräuter bringen. Sagt mir nur, was Ihr wollt.»
Hella seufzte. Das Mädchen tat ihr leid, wie es da stand mit den eingezogenen Schultern, den schmalen Lippen in einem blassen Gesicht und dem glanzlosen Haar.
«Ich nehme den Kerbel», sagte sie. «Und hätte gern in der nächsten Woche reichlich Bärlauch. Waldmeister brauche ich, sobald es welchen gibt. Ach, und vielleicht hast du noch getrocknete Kamille für einen Aufguss?»
Das Mädchen nickte. «Ich werde Euch alles bringen. Ihr werdet zufrieden sein mit mir.»
Hella lächelte. «Wie heißt du?»
«Agnes.»
«Und wie noch?»
«Nichts weiter. Nur Agnes.»
Das Mädchen nahm die Geldstücke aus Hellas Hand und wünschte Gottes Segen, bevor sie davonstürzte. Hella sah ihr nach, raffte den Umhang zusammen und ging zu ihrer Mutter.
«Ich habe Heinz verärgert», sagte sie bedrückt. «Er hat ja recht. Aber ich bin fürs Gehorchen nicht gemacht. Wie weit könnte er es bringen, wenn er nicht die Hälfte seiner Zeit in der Schenke säße und den Schnurren der anderen lauschte. Sein Hang zu Geschichten bringt ihn noch um jeden Aufstieg.»
«Er ist, wie er ist», erklärte Gustelies und rührte dabei in einem großen Topf, aus dem verlockende Gerüche emporstiegen. «Ändern kannst du ihn nicht. Geschichten sind wichtig für die Menschen. Man kann viel daraus lernen.»
«Ach was! Wein trinkt er dort und hört allen und jedem zu, ganz gleich, welchen Unsinn sie reden.»
Gustelies lächelte fein, ein Zeichen dafür, dass sie anderer Meinung war, aber Hella sah es nicht, sondern sprach schon weiter: «Oh, ich will ihn gar nicht ändern. Das meiste an ihm kann bleiben, wie es ist. Aber das, was ihm fehlt, kann ich ja beisteuern, oder? Und nun sagt Pater Nau, mit einem Fehlurteil hätte er sein Seelenheil verspielt, vielleicht sogar das ewige Leben verloren. Wenn die Hübschlerin sich nicht selbst gerichtet hat, muss er in der Hölle schmoren. Das kann ich doch nicht zulassen, Mutter!»
«Nein!», bestätigte Gustelies. «Mit dem Seelenheil und dem ewigen Leben ist nicht zu spaßen. Wir werden sehen, was wir tun können, und mir kommt da gerade ein Einfall.»
Sie setzte sich Hella gegenüber an den sauber gescheuerten Küchentisch, rückte ein Töpfchen beiseite, in dem sich Kräutersprösslinge langsam aus der Erde drückten, und stützte die Unterarme auf das Holz.
Sie wandte den Kopf und lauschte ins Hausinnere, doch alles war ruhig. Trotzdem flüsterte sie: «Heute Nachmittag, vor der Vesper, nimmt Pater Nau den Frauen aus dem Hurenhaus die Beichte ab. Wenn es etwas zu erfahren gibt, dann von ihnen.»
«Ist der Hurenmeister auch dabei?»
Gustelies nickte.
«Aber Onkel Bernhard wird uns niemals verraten, was Huren und Hurenmeister ausgeplaudert haben. Nie!»
«Ich weiß. Und deshalb wird sich eine von uns hinter dem Beichtstuhl verbergen müssen, um alles mit anzuhören.»
Kaum hatte Gustelies dies ausgesprochen, überfiel Hella ein Hustenanfall. Gustelies sprang auf, holte einen Becher mit Wasser, doch Hella hustete sich noch eine ganze Weile förmlich die Lunge aus dem Hals. Als sie sich endlich beruhigt hatte, sah sie ihre Mutter voller Freude an.
«Das ist es. Hinter dem Beichtstuhl. Vielleicht können wir so Heinzens Seele wirklich retten!»
Gustelies lächelte ein wenig und fuhr sich mit der Hand über das Haar. Dann betrachtete sie ihre Tochter. «Du hast dich verkühlt», stellte sie fest. «Du kannst nicht hinter den Beichtstuhl. Dein Husten würde dich verraten! Außerdem: Die Beichten der Huren sind nichts für so junge Ohren.»
«Ich habe gar keinen Husten», warf Hella ein, die sich jetzt schon darauf freute, am Nachmittag ganz Unerhörtes zu erfahren, aber Gustelies ließ nicht mit sich reden.
«Ich gehe
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