Galgentochter
selbst!»
«Du bist die Beste!», jubelte Hella, umarmte die Mutter, küsste sie auf die Wangen und wirbelte davon. «Bis heute Nachmittag!», rief sie im Gehen. «Ich werde in der Seitenkapelle auf dich warten!»
Am Nachmittag versuchte Hella, ihre Mutter noch einmal zu überreden: «Dein Lindenblüten-Salbei-Sud hat geholfen. Ich habe keinen Husten mehr. Denk an deine Knie, Mama.»
Gustelies drohte ihrer Tochter mit dem Finger. «Hurenbeichtensind nichts für eine anständige junge Frau. Du bleibst in der Seitenkapelle.»
Dann schritt Gustelies hoch erhobenen Hauptes durch die noch leere Kirche, hockte sich in eine kleine Nische direkt hinter den Beichtstuhl, und Hella rückte den riesigen geschmiedeten Leuchter so, dass niemand ihre Mutter sehen konnte.
Gustelies spürte schon ein wenig das Reißen in den Knien, als Pater Nau schließlich, angetan mit der schwarzen Soutane, in den Beichtstuhl schlüpfte. Von draußen konnte man das Geschnatter der Huren hören.
Na endlich!, dachte Gustelies. Hoffentlich haben sie in dieser Woche nicht zu viel erlebt. Meine Knie halten das nicht aus.
Die erste Hübschlerin betrat den Beichtstuhl, machte zuvor das Kreuzzeichen. «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen», sagte sie leise.
«Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit», erwiderte der Pater.
«Pater, ich habe gesündigt. Mit Männern habe ich Wollust getrieben und dafür Geld bekommen. Den Hurenmeister habe ich belogen und ihn um zwei Heller geprellt. Der Uta habe ich einen Gürtel gestohlen und falsche Rede gegen Sibylla geführt.»
«Und sonst?»
«Nichts sonst. Reicht Euch das nicht, Pater?»
Hinter dem Beichtstuhl rieb Gustelies sich die Knie und beschwor den Priester lautlos: «Frag sie nach der fremden Hure. Los, Bruder, mach schon!»
Doch Pater Nau hatte andere Sorgen. «Hast du ein Kindlein empfangen?»
Die Hure verneinte und sprach das Reuegebet: «Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, o Herr.»
«Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes», erwiderte Pater Nau, erlegte der Hure einen Fastentag und zehn Rosenkränze auf und verabschiedete sie mit den Worten: «Gehe hin in Frieden.»
Die zweite Hure klagte sich ebenfalls der Unzucht an, gab an, die erste Hure belogen und eine Krämerin beleidigt zu haben. Die dritte Hure wollte sich in Details ihrer Unkeuschheit ergehen, doch Pater Nau gebot ihr rechtzeitig Einhalt.
Nach der vierten Hübschlerin begann sich Gustelies zu langweilen. Auch die Sünde ermüdet, wenn sie gehäuft auftritt, dachte sie. Und noch immer kein Wort von der Wanderhure.
Gustelies hockte sich auf die Fersen, umschlang die Knie mit den Armen und schloss die Augen. Sie war müde.
Doch plötzlich schrak sie aus ihrem Halbdämmer. Sie hatte die Stimme des Hurenmeisters erkannt und legte eine Hand hinter das linke Ohr, um besser zu hören.
«Weggeschickt habe ich sie, die fremde Hure, auf dass sie meinen Mädchen nicht das Geschäft versaut oder sie gar mit irgendwelchen Krankheiten ansteckt. Sie war nicht mehr jung, die Fremde, war in Nöten, vielleicht sogar verrückt, ich weiß es ja nicht. Hätte sie nicht gehen lassen sollen. Gejammert hat sie, geweint und gefleht, ich mögesie bleiben lassen. Der Teufel sei ihr auf den Fersen, hat sie gebarmt, doch ich habe nur gelacht. Gewundert hat’s mich nicht, als sie tot gefunden wurde, denn da erst habe ich begriffen, dass das Weib nicht krank oder verrückt war, sondern Todesangst gehabt haben muss.»
Gustelies hörte Pater Nau etwas murmeln. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht «Ruhe jetzt!» zu rufen.
Doch es war schon alles vorbei. Der Hurenmeister bekannte nun noch ein paar weitere Sünden, die Gustelies ganz und gar nicht interessierten. Doch sie musste ausharren, bis auch die Letzte aus dem Hurenhaus ihr erbärmliches Leben bekannt hatte.
Als die Kirche endlich leer war, kroch sie auf allen vieren aus der Nische, stöhnte, hielt sich das Kreuz und zog sich endlich seufzend an dem eisernen Leuchter nach oben. Hella kam aus der Seitenkapelle geeilt.
«Und?», fragte sie aufgeregt.
«Du
Weitere Kostenlose Bücher