Galgentochter
beantrage ein Gutachten der Syndici», rief Hollenhaus. Ein anderer Zunftmeister widersprach: «Der Fall ist klar, der Richter hat es gesagt. Gutachten kosten Geld, und davon hat die Stadt nicht genug. Ende.»
«Ich muss mich im Sinne der Gerechtigkeit aber doch fragen, ob der Hohe Richter nur zu seinem Schluss gekommen ist, weil es sich bei der Toten um eine Hure handelt. Woher kennt der Richter die Gepflogenheiten einer solchen? Ich habe Zweifel an seinem Urteil.»
Darauf hatte Blettner nur gewartet. «Ihr habt recht, Patrizier Hollenhaus. Die Gepflogenheiten der Hübschlerinnenkenne ich nicht. Auch ist mir nicht bekannt, dass in ihren Reihen Selbstmord ausgeschlossen ist. Da Ihr, edler Herr, mehr darüber zu wissen scheint, erbitte ich Aufklärung.»
Jetzt lachten auch die Patrizier, denn es war stadtbekannt, dass Hollenhaus ein Freund der leichten Mädchen war. Der aber wurde über und über rot, hieb ein wenig mit der flachen Hand auf den Tisch und brüllte: «Nichts weiß ich, gar nichts! Macht doch, was Ihr wollt.»
«Heißt das, Patrizier, dass Ihr meinem Urteil zustimmt?», fragte Blettner liebenswürdig.
Hollenhaus nickte knapp. Auch die anderen Ratsmitglieder stimmten dem Urteil zu, der Gerichtsschreiber notierte, und Blettner gab Anweisung für den Scharfrichter, er möge die Leiche im Main versenken.
«Der Fall ist ad acta gelegt», verkündete Heinz Blettner wenig später zu Hause und rieb sich die Hände.
Doch dann fiel ihm ein, dass seine Frau heute Geburtstag hatte. Er kam zu ihr, nahm sie in den Arm, schwenkte sie ein bisschen herum und ließ links und rechts auf ihre Wange Küsse knallen. «Alles Gute, mein Herz!», wünschte er. «Gottes Segen auf allen Wegen.»
«Lass mich runter!», verlangte Hella, lächelte aber und strich Heinz sanft über die Wange. «Was ist schon ein Geburtstag? So etwas feiert man nicht! Am Namenstag gibt es Glückwünsche und Geschenke, aber doch nicht heute.»
«Das ist mir gleich», verkündete Blettner. «Jedes Mal, wenn sich dein Geburstag jährt, möchte ich mich bei deiner Mutter dafür bedanken, dass es dich gibt.»
Hellas Gesicht wurde weich. Jetzt war es an ihr, ihn zu küssen. «Das kannst du heute Abend machen. Gustelies und Pater Nau werden kommen und Grüne Soße mitbringen.»
Blettners Gesicht leuchtete auf. «Grüne Soße! Etwa mit Tafelspitz?»
«Natürlich! Was dachtest du denn? Glaubst du etwa, meine Mutter würde mit Eiern vorliebnehmen wie die Häusler vor der Stadt? Schüsselweise wird sie Rindfleisch anschleppen, und ich bin ganz sicher, dass auch ein Kuchen dabei sein wird.»
«Und Bier-Eier-Punsch!»
Die Augen des Richters bekamen einen sehnsüchtigen Glanz, dann aber fiel ihm etwas ein. Er eilte die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer und kam wenig später mit einem kleinen Holzkästchen zurück. «Da, für dich, Liebes.»
«Du sollst doch nicht am Geburtstag …», setzte Hella an, doch Heinz unterbrach sie.
«Du wirst heute einundzwanzig Jahre. In dem Alter gilt man für gewöhnlich als erwachsen. Auch wenn man das bei dir nicht unbedingt merkt: Das ist schon ein besonderer Tag.»
Hella öffnete das Kästchen. Darin lag eine kleine Glasphiole. Sie nahm sie heraus, öffnete sie – und schon war die ganze Küche von Rosenduft erfüllt.
«Rosenöl?», fragte Hella. «Riecht meine Nase richtig? Ist das wirklich das gute, teure Rosenöl, welches die Händler vom Balkan mitbringen?»
Richter Blettner nickte stolz. Da fiel sie ihm um den Hals und herzte ihn und verzärtelte ihn, bis die Magd mit den Töpfen klapperte.
Am Abend saßen Gustelies, Pater Nau, Hella und Heinz um den großen Tisch im Wohnzimmer, der sich unter Schüsseln und Kannen förmlich bog.
Pater Nau hatte sich von Gustelies das Randstück desTafelspitzes auf den Teller legen lassen und betrachtete es liebevoll. «Oh, gekochtes Rindfleisch in Grüner Soße! Die Freude meiner späten Tage!»
Hella lachte. «Onkel Bernhard, wenn dir nur das Essen Freude macht, dann ist dein Leben nicht besonders aufregend.»
«An Aufregung habe ich mit deiner Mutter genug. Ansonsten muss ich nichts erleben. Die Erde ist ein Jammertal und das Leben ein Graus. Alles, was Menschen ersinnen können, kenne ich bereits aus der Bibel.»
Dann nahm er sich einen Kanten Brot, tunkte ihn in die Soße und biss herzhaft ab. Plötzlich hielt er inne, kniff die Augen zusammen und sah seine Schwester und Haushälterin misstrauisch an. «Irgendwas fehlt an der Soße. Irgendwas ist
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