Galgentochter
anders.»
«Ach was!», winkte Gustelies ab. «Ein bisschen Kerbel fehlt, aber das merkt man gar nicht.»
«So, Kerbel fehlt also», mischte sich Blettner ein. «Wart ihr nicht gestern erst nach Kerbel unterwegs? Habe ich nicht gehört, dass rund um den Galgenberg alles voller Kerbel steht?»
«Seit wann interessierst du dich für Kräuter?», wollte Hella wissen. «Es ist April, die beste Zeit für die Grüne Soße. Da geht jede gute Hausfrau nach Kerbel aus. Wir waren wohl zu spät.»
Gustelies hatte ihren Fehler sogleich bemerkt und versuchte nun abzulenken. «Ich hörte, der Rat hat im Falle der toten Hübschlerin auf Selbstmord entschieden. Hat man sie schon in den Main geworfen?»
Blettner wischte sich mit einem Tuch den Mund sauber. «Morgen früh steckt sie der Henker in ein Fass und wirft sie von der Brücke, direkt über dem zweiten Bogen.»
Hella wusste selbst nicht, was sie plötzlich ritt. Die Worte lagen ihr im Mund. Sie versuchte, sie hinunterzuschlucken, doch vergebens. «Und wenn es doch kein Selbstmord war?»
Richter Blettner ließ das Messer sinken und sah seine Frau streng an. So streng, dass Hella den Kopf senkte. Dann aßen alle weiter, bis Pater Nau sich zu Wort meldete: «Nun, Selbstmord ist eine Todsünde. Die Seele der Armen landet auf ewig im Fegefeuer. Schlimm ist so was. Nicht wiedergutzumachen. Wenn du sie als Selbstmörderin verurteilt hast, und das zu Unrecht, hast auch du dein Seelenheil verspielt.»
«Und obendrein wird er nie im Leben ein angesehener Syndikus, der in der warmen Stube arbeitet und von allen hoch geachtet ist. So mancher Syndikus hat es schon auf die Ratsbank geschafft. Du aber wirst wohl immer nur Richter bleiben!» Hellas Stimme war ein wenig dunkel, als sie dies sagte. «Ein Fehlurteil, das wäre wirklich schlimm.»
Heinz Blettner ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. «Ich bin gern Richter. Habe meine Freiheit. Fehler gehören dazu.»
«Ach was! In der Ratsschenke willst du sitzen, das ist es. Die anderen arbeiten lassen. Scharfrichter tu dies, Stöcker tu das, Schreiber mach dies, Bote hol das. Und wenn du nicht weiterweißt, läufst du zu den Syndici, damit sie dir Rechtsrat erteilen.»
«Was ist daran so schlimm?», fragte Blettner.
Hella holte tief Luft: «Dass du es nie zur Mitgliedschaft im Rat bringen wirst wie die angesehenen Kaufleute, das ist schlimm.»
Jetzt ließ Heinz Blettner das Messer fallen. «Es ist genug, Hella.»
Pater Nau nickte dazu: «Die Welt ist schlecht. Wohin soll das alles noch führen, wenn schon die Hausfrau Widerworte gibt? Das Weib ist ein Hort der Wollust und Sünde. Das wussten schon die großen Kirchenväter und mahnen deshalb seit Jahrhunderten, dass das Weib dem Manne untertan zu sein habe, will es die ewige Seligkeit.» Er sah betrübt über die Tafel. «Ein Jammertal, ich sage es ja.»
Gustelies stieß ihren Bruder in die Seite: «Sei jetzt still! Misch dich nicht ein.»
Hella saß ganz zusammengesunken, den Blick auf den Teller gerichtet.
«Ich wünsche nicht, dass meine Frau sich in meine Angelegenheiten mischt. Pater Nau hat recht: Dem Ehemann obliegt es, dafür zu sorgen, dass das Weib am Ende das ewige Leben erhält. Ich bin dein Mann, bin dein Führer, sorge für deinen Unterhalt, verteidige dich und achte darauf, was rechtens ist. Deine Aufgabe, meine Liebe, ist es, mir in Ergebenheit zu dienen, bescheiden in der Rede und der Kleidung zu sein. Deine Rede sei vorsichtig, Klatsch sollst du vermeiden und schweigen, wo es nottut. So steht es geschrieben, so rufen die Priester von der Kanzel. So war es, so wird es bleiben. Du, Hella, wirst dich daran gewöhnen müssen. Nicht ich bin es, der den Ruf ruiniert. Eine Frau, die sich nicht ergibt, macht dem Manne Schande.»
Hella kroch noch weiter in sich zusammen. Er hat recht, dachte sie. Ich will ihm doch ein gutes Weib sein, will doch gehorsam sein. Warum ist das nur so schwer?
Sie sah ihren Mann unter gesenkten Lidern an. «Entschuldige bitte», sagte sie leise. Richter Blettner nickte, dann lächelte er schon wieder und strich ihr über das Haar.
«Nun, morgen kommen die Frauen aus dem Hurenhaus zur Beichte», erklärte Pater Nau, der ein Schweigen nurschwer aushalten konnte. «Gäbe es das Beichtgeheimnis nicht, so wüsstest du recht bald, ob du recht geurteilt hast. So aber …!»
«Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen entschieden», teilte der Richter mit. «Wenn ihr alles besser wisst und könnt, nur zu!»
Gustelies trat unter dem Tisch
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