Galgentochter
hinter den Beichtstuhl, und du kurierst dich aus.»
Dann sprang sie auf, lief in ihre Vorratskammer und kam mit zwei Leinensäckchen wieder. «Da! Thymian. Mach dir heute Abend einen Zuber mit heißem Wasser, streu Thymian hinein und atme tief.»
Und dann legte sie das andere Säckchen auf den Tisch. «Getrocknete Lindenblüten, gemischt mit Salbei. Daraus mach dir einen Sud und trink ihn so heiß wie möglich. Wirst sehen, morgen ist dein Husten schon besser.»
«Rezepte der heiligen Hildegard?», fragte Hella und zwinkerte ihrer Mutter zu.
«Als ob die Äbtissin Hildegard Zeit gehabt hätte, sich selbst um die Zubereitung von Heilmitteln zu kümmern! Sie war eine große Gelehrte, meine Liebe. Mag der Bäckermeister Laue auch damit prahlen, Apfelkuchen nach einem Hildegard-Rezept backen zu können, das ist alles Unfug. Hildegard von Bingen hat niemals in ihrem Leben das Rezept für einen Apfelkuchen ersonnen! Das wird ihr nur angedichtet, weil es sich für eine Frau halt so ziemt. Gelehrt zu sein wie ein Mann ist dagegen eine Schande.» Sie hob den Zeigefinger und fuchtelte damit vor Hellas Nase herum. «Die Männer sind es, welche Hildegard von einer berühmten Theologin zu einer Heldin am Herd degradieren. Männer sind und waren es, die ihren Erscheinungen erst dann Glauben schenkten, als sie vom Papst als direkte Gottesworte, und somit nicht von Hildegard erdacht, erklärt wurden.»
«Ich weiß, Mutter, ich weiß», warf Hella eilig ein, um einem Vortrag über die Gelehrsamkeit und Klugheit der Hildegard zu entgehen. Sie hatte diesen Vortrag schon so oft gehört, dass sie ihn lautlos mitsprechen konnte. Aber alles in allem imponierte Hella doch, wie eifrig Gustelies ihr großes Vorbild verehrte und wie viel sie von ihr gelernthatte. Dass es sich dabei keineswegs um Heilmittelchen und Kochrezepte handelte, war jedem klar, der Gustelies kannte.
Hella steckte beide Säckchen ein. Im selben Augenblick zeigte die Glocke der Liebfrauenkirche durch kräftige Schläge an, dass die Mittagszeit angebrochen war.
Gustelies sprang auf. «Ich muss mich eilen, der Pater kommt gleich und möchte seinen Freitagsfisch.»
Auch Hella stand auf: «Der Meine kommt bestimmt auch bald aus dem Malefizamt. Obwohl er sich freitags nicht sonderlich eilt, denn er mag keinen Fisch.»
Gustelies fuhr herum, stand mit erhobenem Kochlöffel. «Keinen Fisch? Das liegt nur an der Zubereitung. Hast du ihm schon einmal Hecht gemacht?»
Hella schüttelte den Kopf und setzte sich wieder, denn denn nun würde eine Vorlesung über Hechte folgen.
«Du nimmst eine Zwiebel und schneidest sie schön klein. Später im Jahr nimmst du Schalotten. Dann erhitzt du ein Viertelpfund Butter in der Pfanne und brätst die Zwiebeln darin schön glasig. Nimm einen Rest Weißwein vom Vortag und einen Becher Wasser und lass die Soße aufkochen. Dann gibst du einen Löffel Mehl hinzu und rührst alles schön glatt. Aber pass auf, dass dir die Schwitze nicht anbrennt. Würze mit Salz und, wenn du hast, mit Pfeffer, gib einen kräftigen Schluck ungesüßte Sahne hinzu und gehackte Petersilie, dann nimm die Soße vom Ofen.
Jetzt schneidest du dem Hecht Kopf und Schwanz ab, nimmst ihn schön aus, entgrätest ihn und salzt ihn tüchtig. Nimm eine Pfanne, gib reichlich Butter dazu und brate den Hecht von allen Seiten. Dann gieß die Soße darüber, geize nicht mit Butterflöckchen, und fertig ist das Freitagsfastenmahl. Hast du dir alles gemerkt?»
Hella nickte. «Hecht, Butter, Mehl, Wasser, Wein, Salz, Pfeffer, Petersilie.»
«Richtig. Kauf die Sachen auf dem Markt. Jetzt gleich, dann schaffst du es noch, bis Heinz aus dem Malefizamt kommt. Sieh zu, dass es ein junger Hecht ist, höchstens ein zweijähriger, dann ist er besonders zart.»
Hella rümpfte ein wenig die Nase. «Und wenn ich den jüngsten aller Hechte bekomme, so gut wie du bekomme ich das nie hin!»
Sie legte den Kopf ein wenig schief, zog einen Schmollmund und schmiegte sich an ihre Mutter.
«Aha!» Gustelies verstand. «Mitnehmen willst du, was ich gekocht habe, nicht wahr? Weil du genau weißt, dass ich wieder viel zu viel gemacht habe!»
Hella nickte und schmiegte sich noch enger an ihre Mutter, die noch immer den Kochlöffel in der Hand hielt.
«Also gut. Zum letzten Mal. Sonst lernst du ja nie richtig kochen!»
Sie holte ein Tongefäß, füllte Hecht und Soße ab, bedeckte das Gefäß mit einem Leinentuch und stellte es in einen Korb. «Um das Brot dazu kümmerst du dich aber
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