Galgentochter
Fluss, wusch ihr das Haar mit eiskaltem Märzwasser, goss Essig nach, zerrte einen grobzinkigen Kamm über den Mädchenkopf. Dann, zurück in der Kammer, betrachtete sie den nackten Leib des Kindes. «Mager bist du. Wird Zeit, dass dich ein Mann nimmt, dann werden die Hüften schon von ganz allein breiter.»
Sie schmierte Fett auf ein paar entzündete Wanzenstiche, sagte dann: «Das Schamhaar muss ab. Die Männer wollen eine richtige Jungfrau mit nacktem Schoß.»
Wenig später stand die Mutter mit einem Rasiermesser in der Hand über dem Mädchen, das auf dem Strohsack lag.
Das Mädchen starrte an die Decke und wagte kaum zu atmen. Die Mutter war grob, riss an den Haaren, fuhr achtlos mit dem Rasiermesser über die Haut, wischte das Blut nachlässig mit dem Finger breit. Das Mädchen bewegte sich nicht.
Als die Mutter fertig war, blieb sie einfach liegen.
«Hat es dir die Sprache verschlagen? Ich dachte, du freust dich, dass du nun bald zur Frau gemacht wirst.»
«Nicht zur Frau, zur Hure», erwiderte das Mädchen. Sie sah die Faust kommen, doch sie wich ihr nicht aus. Die Mutter schlug sie auf die Brüste und die Schenkel. Wieder und immer wieder. Das Mädchen bewegte sich nicht, starrte nur in das Muttergesicht, sagte kein Wort mehr.
Da ließ die Mutter von ihr ab.
Zwei Abende später war die Gaststube im Erdgeschoss des Hurenhauses zum Bersten voll. Die Frauen hatten sich besonders hübsch gemacht, die Mieder weiter als sonst geöffnet, reichlich von der roten Paste aus Schweinefett und dem Saft roter Rüben auf Lippen und Wangen verteilt. Handwerksburschen, Meister, Männer jeden Alters, jeden Standes, jeder Statur drängten sich auf den Holzbänken. Die Tische bogen sich unter Weinkannen, ein Musikant kratzte auf seiner Fiedel.
Die Hurenwirtin hatte sich ein rotes Band ins Haar gebunden, die Mutter eine neue Borte an ihr Kleid genäht. Ihre Augen glänzten, aber das Mädchen fand, dass der Glanz nichts Schönes hatte, sondern fiebrig, gierig und krank aussah.
Sie wusste, warum das Haus so voll war: Die Hurenwirtin hatte in der Stadt verbreiten lassen, dass an diesem Abend eine Jungfrau versteigert würde. Die Jungfrau war sie selbst.Sie saß auf einem Schemel, spürte die Blicke der Männer auf ihrer Haut brennen, spürte, wie die Blicke an ihr hinauf- und herabglitten, wie sie gemustert, geschätzt und beurteilt wurde. Die Mutter hatte ihr einen Kranz aus Gänseblümchen aufs Haar gesteckt. Sie trug ein Kleid, welches ehemals weiß gewesen war und nun der Hurenwirtin als Nachtgewand diente. Auch die Mädchenwangen waren mit der Paste bestrichen, die Augen mit Herdruß bemalt, die Füße aber nackt und von der Kälte des Steinbodens blau angelaufen.
Einer war gekommen, hatte ihre Wange getätschelt und sie «Täubchen» genannt. Ein anderer hatte ihr die Hand auf den Arm gelegt. Eine Hand mit vergilbten Nägeln unter einem schwarzen Rand. Eine Hand mit dicken blauen Adern und bleichbraunen Flecken. Eine Hand mit gekrümmten Fingern, die wie Würmer über ihren Arm krochen.
Das Mädchen saß starr und summte tonlos ein Lied. Immer wieder und wieder und noch einmal. Sie hörte das Toben und Singen, das Lachen und Kreischen ringsum wie durch eine dicke Stoffschicht. Sie sah die Männer und Frauen so scharf, als wären sie in Mondlicht getaucht, und sah doch nichts. Sie hatte weder Hunger noch Durst, war nicht wach und nicht müde, fühlte nichts, dachte nichts. Sie saß da, und das Einzige, was war, war das Atmen. Ein und aus und ein und aus und ein und aus.
Als die Hurenwirtin auf eine der Holzbänke stieg und laut nach Ruhe rief, schrak sie kurz auf, zog dann die Schultern zusammen, ließ das Kinn auf die Brust sinken, presste die Knie zusammen.
«Heute gibt es eine Jungfrau», schrie die Wirtin. «Ein Gottesgeschenk von einem Mädchen. Sanft wie ein Lämmchen, mit einer Haut von Milch und Honig, Brüsten wieRosenknospen und einem Schoß, so rein und unschuldig wie frisch gefallener Schnee.»
Das Mädchen hörte die Worte, sie wusste, dass sie gemeint war, aber die Sätze waren ihr fremd. Alles war ihr plötzlich fremd. Sie sah zur Tür, als wartete sie, dass einer käme und sie hier wegholte. Doch da kam keiner. Nur die Mutter, die sie vom Schemel hochzog und ihr derb in beide Wangen kniff. «Los, zier dich nicht», zischte sie ihr ins Ohr. «Wenn du nicht spurst, sind wir beide verloren.»
Sie packte sie unterm Kinn. «Lächle! Los, lächle, sage ich.»
Das Mädchen verzog die Lippen,
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